Politik

Eiszeit bei Hartz IV Zeichen stehen auf Scheitern

Es soll die letzte Verhandlungsrunde sein; Koalition wie Opposition drängen auf ein Ergebnis – "Frühling" liegt in der Luft. Es wird "inhaltlich diskutiert", heißt es nach zwei Stunden. Dann gibt's eine einstündige Unterbrechung – und alles sieht wieder nach einem Scherbenhaufen aus. Schuld will allerdings keiner sein.

Die Hartz-IV-Verhandlungen zwischen Bundesregierung und Opposition sind am Dienstagabend in die entscheidende Phase getreten. Aus Verhandlungskreisen hieß es drei Stunden nach Beginn der Gespräche in Berlin, die Zeichen stünden eher auf Scheitern. Ein neuer Vorschlag von SPD und Grünen zur Berechnung des Regelsatzes beim Arbeitslosgeld II sei von der Koalition abgelehnt worden. Damit erscheine eine Einigung kaum mehr möglich, hieß es aus Verhandlungskreisen.

Bundeskanzlerin und CDU-Chefin Merkel hat Hartz IV zur Chefsache gemacht.

Bundeskanzlerin und CDU-Chefin Merkel hat Hartz IV zur Chefsache gemacht.

(Foto: dpa)

Die Verhandlungen stünden dann vor dem Aus. Die Spitzenrunde der Verhandlungsführer um Bundesarbeitsministerin Ursula von der Leyen (CDU) und SPD-Vizeparteichefin Manuela Schwesig war nach einer fast einstündigen Unterbrechung kurz vor 22.00 Uhr wieder zusammengekommen. Aus Union und FDP hieß es, im Fall eines Scheiterns der Gespräche werde die Koalition am Mittwoch im Vermittlungsausschuss und am Freitag im Bundesrat ihre Vorschläge zur Abstimmung stellen. In der Länderkammer werde sich dann zeigen, ob sich eine Mehrheit finde. Dort benötigen Union und FDP mindestens die Zustimmung eines weiteren Landes, um eine Mehrheit für die Gesetzesvorschläge zu finden.

In dem von SPD und Grünen vorgelegten neuen Vorschlag soll es für jedes der drei Streitthemen - Regelsatz, Bildungspaket und Mindestlohn - zwei Alternativvarianten geben.  Die Positionen von CDU/CSU und FDP habe man bei dem Kompromisspapier berücksichtigt.

"Es wird inhaltlich diskutiert"

Die Unterhändler von Koalition und Opposition waren mit gegenseitigen Appellen zum Kompromiss, aber auch mit Drohungen, in diese Runde über die Hartz-IV-Reform gegangen. Trotz der angespannten Atmosphäre hieß es zwei Stunden nach Beginn aus Verhandlungskreisen: "Es wird inhaltlich diskutiert."

Anfangs sah alles nach guter Laune aus: (v.l.n.r) CSU-Chef Seehofer Bundesarbeitsministerin von der Leyen, Unions-Fraktionsgeschäftsführer Altmaier, Staatsminister Hoofe, Grünen- Vizefraktionschef Kuhn, SPD-Verhandlungsführerin Schwesig und SPD- Fraktionsgeschäftsführer Oppermann.

Anfangs sah alles nach guter Laune aus: (v.l.n.r) CSU-Chef Seehofer Bundesarbeitsministerin von der Leyen, Unions-Fraktionsgeschäftsführer Altmaier, Staatsminister Hoofe, Grünen- Vizefraktionschef Kuhn, SPD-Verhandlungsführerin Schwesig und SPD- Fraktionsgeschäftsführer Oppermann.

(Foto: dpa)

Bundesarbeitsministerin von der Leyen sprach von einer "letzten Verhandlungsrunde". Die Opposition müsse nun ihren Einigungswillen beweisen. Die Koalition habe genug "großzügige Angebote" gemacht. Es sei an der Zeit, Klarheit für die betroffenen Hartz-IV-Empfänger und für die mehr als zwei Millionen bedürftigen Kinder zu schaffen.

Zuvor hatten sich die Spitzen von Union und FDP auf eine gemeinsame Position verständigt. Man sei kompromissbereit, werde aber eine "klare rote Linie ziehen", verlautete nach Ende des Treffens unter Leitung von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU). Dazu zähle, dass sich die Koalition bei der Anhebung der Regelsätze nicht mehr bewegen werde. Die Regierung will die Sätze um 5, die SPD und Grüne um 11 Euro anheben.

FDP als "Klotz am Bein"

Manuela Schwesig verhandelt im Auftrag der Sozialdemokraten.

Manuela Schwesig verhandelt im Auftrag der Sozialdemokraten.

(Foto: dapd)

Schwesig gab sich ergebnisorientiert: "Wir sind gespannt, was die Koalition heute vorlegt, nachdem Merkel ihre Leute zum Rapport gerufen hat, sagte die SPD-Verhandlungsführerin vor dem Treffen. Sie empfinde die FDP bei diesen Verhandlungen "als Klotz am Bein", sagte sie in einem n-tv Gespräch.

Arbeitsministerin von der Leyen will die Einigung - aber nicht um jeden Preis.

Arbeitsministerin von der Leyen will die Einigung - aber nicht um jeden Preis.

(Foto: dapd)

Arbeitsministerin von der Leyen warb unmittelbar vor der neuen Runde noch einmal eindringlich für einen Kompromiss. "Die Opposition ist mit drei Maximalforderungen in die Verhandlungen reingegangen. Wer Erfahrung hat, weiß, dass man am Ende nicht alle Forderungen durchsetzen kann", sagte sie. In einem n-tv Gespräch hatte sie das Verhalten der Opposition als "überdreht" kritisiert.

Der Unterhändler der Grünen, Fraktionsvize Fritz Kuhn, warf der Regierung vor, noch immer keinen Vorschlag "für einen verfassungskonformen Regelsatz" vorgelegt zu haben. Die Verhandlungen sollen nach Kuhns Worten "an Grünen und SPD nicht scheitern".

Merkel stimmt schon vorher aufs Scheitern ein

Vor den beiden Verhandlungsrunden am Abend hatte Merkel die Bürger auf ein Scheitern eingestimmt. Sie sehe "sehr schlechte Chancen" für eine kurzfristige Einigung.

SPD-Chef Sigmar Gabriel warf der Kanzlerin vor, die Gespräche offensichtlich scheitern lassen zu wollen. "Frau Merkel ist der kleinste gemeinsame Nenner von CDU, CSU und FDP wichtiger als eine faire Einigung im Sinne der Betroffenen." Niemand habe etwas davon, in dieser Sache weiter zu blockieren. SPD-Fraktionschef Frank-Walter Steinmeier hielt der Koalition vor, das Bildungspaket nicht ausreichend finanziert zu haben.

Nach den Worten der Fraktionschefin der Grünen, Renate Künast, hat die Kanzlerin es zu verantworten, dass die Regierung ein Jahr nach dem Urteil des Verfassungsgerichts immer noch keinen "ordentlich berechneten Regelsatz" für Langzeitarbeitslose vorgelegt habe.

Die FDP sieht keinen Zeitdruck für eine Einigung und hält auch eine Sondersitzung des Bundesrates nicht für notwendig. Man fürchte sich nicht vor einem Wahlkampf mit diesem Thema, hieß es aus der Führung der Partei. Man setze auf das Gerechtigkeitsempfinden der Bevölkerung. Die Koalition will die Sätze für Hartz-IV-Empfänger auch deswegen nicht weiter erhöhen, weil der Abstand zum Einkommen von Geringverdienern und Rentnern sonst geringer würde.

Kommt es zu keiner Einigung, werden die 4,7 Millionen Hartz-IV-Empfänger und die 2,5 Millionen Kinder aus armen Familien vorerst weiter auf höhere Leistungen warten müssen. Wegen der vor einem Jahr vom Bundesverfassungsgericht bereits zum 1. Januar 2011 verlangten Neuregelung wird eine Klagewelle von Betroffenen und Sozialverbänden auf der Basis des Verfassungsurteils befürchtet.

Quelle: ntv.de, rts/dpa/AFP

Newsletter
Ich möchte gerne Nachrichten und redaktionelle Artikel von der n-tv Nachrichtenfernsehen GmbH per E-Mail erhalten.
Nicht mehr anzeigen