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Lindner-Tweet lässt tief blicken Klamme Kassen zerren am Zusammenhalt der Ampel

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Lindner und Habeck haben vor allem die schrumpfenden finanziellen Spielräume gemeinsam.

(Foto: picture alliance/dpa)

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Zum Wochenstart zeigt sich das ganze Dilemma der Bundesregierung: Das Geld ist so knapp, wie die Vorstellungen unterschiedlich sind. Finanzminister Lindner kann zwar Ideen von SPD und Grünen stoppen, aber schwer FDP-Konzepte durchsetzen. So wird die Stimmung zunehmend gereizt.

Christian Lindner schreibt nicht alle Tweets auf seinem Account persönlich, diesen aber schon: Nachdem am Vormittag sämtliche Online-Medien einen Bericht verbreiteten, der Bundesfinanzminister und FDP-Vorsitzende habe Entlastungspläne des Kanzlers durchkreuzt, greift Lindner zur Mittagszeit selbst zum Smartphone: "Zu den Berichten, ich hätte Hilfen für Geringverdiener verhindert, kann ich nur sagen: im Gegenteil!", schreibt Lindner und beendet den Tweet mit seiner Autorenkennung "CL". Die Kommunikation ist in dieser Causa Chefsache.

Ein Mitglied des Koalitionsausschusses hatte Ende Juni noch die Hoffnung geäußert, dass die Zusammenarbeit im Kabinett wieder besser würde, wenn erst einmal alle Minister die dringend benötigten Ferien genossen hätten. Doch noch während der parlamentarischen Sommerpause ist zwischen den Ministern und den Regierungsfraktionen der Ampel ein offener Streit über den Umgang mit Inflation und Energiepreissteigerungen entbrannt. Der aus seiner Flitterwoche zurückgekehrte Lindner etwa dementiert mit seiner Einlassung gar nicht erst, dass er angeblichen Plänen von Bundeskanzler Olaf Scholz für neue Hilfen die Zustimmung verweigert hat.

"Ich schlage für 2023 unter anderem einen höheren Grundfreibetrag und einen fairen Tarif der Lohn- und Einkommensteuer vor!", schreibt Lindner. Den Kern des Berichts stellt er damit aber nicht in Abrede: Dass der Finanzminister ein fünf Milliarden Euro teures Hilfspaket verhindert habe, das Scholz angeblich am Freitag vorstellen wollte. Diesen Konflikt bestreitet Lindner nicht und worum es ihm dabei ging, verrät sein letzter Satz: "Der Plan ist vereinbar mit der Schuldenbremse." Soll heißen: Der Plan von Scholz war es nicht. Lindner wehrt sich mit Verve gegen zusätzliche Ausgaben im laufenden und im kommenden Jahr, weil es sonst immer schwerer für ihn und die FDP wird, die Rückkehr zur Schuldenbremse in 2023 durchzuboxen.

Und täglich grüßt die Schuldenbremse

Nach drei Jahren Pandemie, einem 100 Milliarden Euro Kredit für die Bundeswehr, zwei insgesamt 30 Milliarden Euro schweren Entlastungspaketen im Frühjahr, der Uniper-Rettung sowie unsicheren bis katastrophalen Wirtschaftsaussichten schrumpft der finanzielle Spielraum der Ampel für ihre diversen Vorhaben rasant. Ihre sozial-, energie- und klimapolitischen Ambitionen drohen zunehmend am immer geringeren Budget zu scheitern. Weil das auch Sozialdemokraten und Grünen bewusst ist, stellen sie immer lauter die Rückkehr zur Schuldenbremse im kommenden Jahr infrage.

Sie sei "der ziemlich festen Überzeugung", dass die "Krisenlage" der vergangenen Pandemie-Jahre noch nicht überwunden sei, wiederholte die SPD-Vorsitzende Saskia Esken am Morgen im ZDF ihre entsprechende Forderung aus den vergangenen Tagen. Nun komme "die neue Krisenlage, nämlich der Krieg" hinzu. Wer aber die Schulden nicht erhöhen wolle, müsse eben an die Einnahmenseite ran: Esken sprach erneut über die Vorzüge einer Übergewinnsteuer für Krisenprofiteure oder einer Vermögenssteuer - beides rote Tücher für die FDP und ihren Vorsitzenden.

Lindner hatte schon am vergangenen Mittwoch im ausführlichen Interview mit ntv.de erklärt: "Der Staat darf die Preisentwicklung nicht länger mit seiner finanziellen Feuerkraft verstärken. Darüber hinaus können wir uns Schulden auch nicht mehr leisten, weil der Staat inzwischen selbst hohe Zinslasten hat." Bei einer Pressekonferenz am Montagmittag wiederholte Lindner diese entschiedene Absage fast wortwörtlich. In der Sache ist strittig, ob Krieg und Pandemie nach dem Gesetzeslaut eine Aussetzung der Schuldenbremse erlauben. Eine Abschaffung oder Reform ist jedenfalls keine Option: Union und FDP lehnen Änderungen ab und die hierzu nötige Zweidrittelmehrheit kommt ohne CDU/CSU nicht zustande.

Scholz' Versprechen und Lindners Beitrag

Der finanzielle Spielraum der Bundesregierung bestimmt aber ganz wesentlich, wie viel Mittel zur Abfederung der immensen Energiepreissteigerungen zur Verfügung stehen. Der wenig Fußball-affine Kanzler versprach am Freitag mit dem Liverpool-Slogan "You'll never walk alone", niemanden im Stich zu lassen. Die von SPD-Sozialminister Hubertus Heil geplante Ausweitung des Wohngeldes sowie ein von der SPD-Fraktion erarbeitetes Kündigungsmoratorium für Wohnungsmieter, die ihre Nebenkosten nicht zahlen können, werden diesem Versprechen eher nicht gerecht.

Wer Wohngeld beantragen muss oder vor seiner Hausverwaltung blankziehen muss, um zu beweisen, dass er oder sie zu pleite ist für die Heizkostennachzahlung, ist schon in der Armut angekommen. Wie könnte also die Mitte vor einer Verarmung geschützt werden? Schließlich treibt nicht nur die Regierung inzwischen die Sorge vor "Volksaufständen" um, sollten weite Teile der Gesellschaft plötzlich den gesellschaftlichen Abstieg erleben.

Eine Deckelung der Gaspreise kommt für die Ampel trotz vereinzelter Plädoyers aus den eigenen Reihen eher nicht infrage: nicht finanzierbar, kein Anreiz zum Energiesparen und aus FDP-Sicht wohl auch zu planwirtschaftlich. Lindner lehnte diese Idee bei ntv.de ebenso ab wie den Vorschlag von Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir, die Mehrwertsteuer auf bestimmte Nahrungsmittel wie Obst und Gemüse abzusenken. Die Idee sei "nicht zielgerichtet und wir können sie uns nicht leisten".

FDP-Wünsche gehen kaum mit Rot-Grün zusammen

Was schlägt die FDP stattdessen vor? Lindner will an die Lohn- und Einkommenssteuer, getreu dem FDP-Slogan "Mehr Netto vom Brutto". Schon im März dieses Jahres wurde der Grundfreibetrag für 2022 auf 10.347 Euro erhöht. Erst die darüberliegenden Einnahmen werden besteuert. Zudem will Lindner mit Maßnahmen gegen die Kalte Progression verhindern, dass Inflations-ausgleichende Lohnerhöhungen von der Lohnsteuer aufgefressen werden. Der Haken: Lohnanpassungen in Höhe der immensen Inflation bekommt längst nicht jeder Arbeitnehmer. Von der Erhöhung des Grundfreibetrags wiederum profitieren nur Arbeitnehmer, die mehr als den Mindestlohn verdienen.

Wenn SPD und Grüne dem Vorhaben zustimmen sollen, werden sie im Gegenzug auf weitere Entlastungen für Transfergeldempfänger, Geringverdiener, Rentner und Studenten pochen. Vor allem beim Hartz-IV-Nachfolger, dem Bürgergeld, der geplanten Kindergrundsicherung sowie beim Kindergeld wollen Rot und Grün draufpacken - und zwar über die Inflation hinaus, schließlich haben beide Parteien Verbesserungen versprochen, nicht einen Erhalt des Status Quo.

So drohen wieder Mehrausgaben für Lindner bei geringeren Einnahmen, denn natürlich kostet auch eine Erhöhung des Grundfreibetrags Geld, während Anpassungen an die Kalte Progression dem Verzicht auf Einnahmen gleichkommen. Warum diese Maßnahmen trotzdem mit der Schuldenbremse konform gehen sollen, hat Lindner in seinem Tweet nicht erläutert.

Aber dazu wird noch Gelegenheit sein in einem Sommer, in dem Politiker aus allen drei Regierungsparteien ihre Ideen lieber öffentlich vorstellen, als sie intern abzustimmen. Das produziert zwangsläufig Verlierer: diejenigen, deren Vorstöße nicht durchkommen. Da in den Debatten über Waffenlieferungen an die Ukraine, AKW-Laufzeiten und Corona eine ähnliche Dynamik festzustellen ist, wird der Zusammenhalt der noch immer jungen Regierungskoalition zunehmend auf die Probe gestellt.

(Dieser Artikel wurde am Montag, 25. Juli 2022 erstmals veröffentlicht.)

Quelle: ntv.de

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