Vom Balkan ins deutsche Bordell Zwangsprostituierte immer jünger
24.11.2010, 09:15 UhrDie genaue Zahl kennt niemand. Aber das Leid der immer jüngeren Zwangsprostituierten ist groß. Der Handel mit Mädchen und Frauen blüht auf dem Balkan. Die deutsche Polizei will vor allem Zuhältern und Menschenhändlern das Handwerk legen.
Die Annonce klang vielversprechend. Innerhalb kurzer Zeit sei viel Geld zu verdienen. Dass die Endstation der Reise in den "goldenen Westen" ein Bordell sein würde, ahnte die junge Frau aus Osteuropa nicht.
"Der Handel mit Mädchen ist ein lukratives Geschäft auf dem Balkan", sagt Anton Markmiller von der internationalen Hilfsorganisation Care. Die Sektion Deutschland-Luxemburg von Care hat in diesem Jahr mit EU-Geldern die Unterstützung von Frauenorganisationen in der Region übernommen. Diese haben den Kampf gegen den Menschenhandel in Serbien, Bosnien-Herzegowina und Kroatien zu ihrer Aufgabe gemacht.
Anlässlich des von den UN proklamierten internationalen "Tages gegen Gewalt an Frauen" erörterten in Berlin Expertinnen auf Einladung von Care die Probleme. Bei einer Diskussionsveranstaltung am Montagabend betonte Mara Radovanovic, wie sehr die betroffenen Frauen Hilfe brauchen. Sie hat 1998 in Bosnien-Herzegowina die Frauenorganisation LARA gegründet, die misshandelten Frauen in einem Haus Schutz bietet.
Kinderhandel und Brutalität
Die Ordensfrau Lea Ackermann ist der Meinung, dass schon das Schicksal einer einzelnen Frau aufrütteln müsse. Die Missionsschwester hatte 1985 in Kenia mit einem Ausstiegsprojekt für Mädchen und Frauen begonnen. Seit 1988 engagiert sich ihre Organisation SOLWODI auch in Deutschland für Opfer von Menschenhandel, Zwangsprostitution, Zwangsheirat oder Beziehungsgewalt. Im vergangenen Jahr haben sich allein 403 Frauen aus Südosteuropa hilfesuchend bei ihrer Organisation gemeldet.
Seit der Wiedervereinigung Deutschlands vor 20 Jahren und dem Fall des Eisernen Vorhangs habe sich der Frauenhandel schlagartig von Asien nach Osteuropa verlegt, sagte Heike Rudat, seit sieben Jahren im Landeskriminalamt von Berlin mit Kriminalität im Rotlicht-Milieu befasst. "Man kann verfolgen, wie die Armutsgrenze verläuft", hat sie beobachtet. Viele der Mädchen und Frauen kämen aus Bulgarien und Rumänien. Vielfach gehörten sie zu den Roma.
Rudat, Leiterin des größten Schwerpunktdezernats in Deutschland für solche Verbrechen, hielt fest: "Die Nachfrage an jung aussehenden Frauen ist enorm groß." Die Freier hofften wohl, dass diese Mädchen nicht Aids oder andere Krankheiten hätten. Kinderhandel gebe es "hier in Deutschland vor unserer Haustür". Verstärkt würden zudem die Mädchen und Frauen mit Gewalt gefügig gemacht: "Die Brutalität kehrt zurück."
"Nur die Spitze des Eisbergs"
Die Kriminalbeamtin hält die Zusammenarbeit mit Hilfsorganisationen für unerlässlich. Ohne diese würde die Polizei höchstens die Hälfte der Opfer finden und hätte dann auch nur die Hälfte der Frauen, die aussagen, hob Rudat hervor. Ihr ist zugleich wichtig, dass die Behörden nicht die Frauen verfolgen wollen: "Im Blickpunkt der polizeilichen Maßnahmen steht der Zuhälter, der Menschenhändler." Diese hätten "keinen Respekt vor Menschen". Wie Internet-Foren der Freier zeigten, gehe es aber auch vielen Kunden nur um "ein Stück Fleisch mit einem Loch".
Rechtlosigkeit und Korruption in den Heimatländern begünstigen den Menschenhandel. Viele der Mädchen und Frauen müssen dort in Bordellen arbeiten. Schwester Ackermann wünscht sich jedoch auch in Deutschland eine härtere Bestrafung der Verantwortlichen. "Es ist kein Ruhmesblatt, wie gut die Täter wegkommen", fasst sie ihre Erfahrungen mit Prozessen zusammen. Ohnehin fürchteten die Frauen, die vor Gericht aussagen, oft die Rache an Angehörigen zu Hause.
Wie viele Mädchen und Frauen vom Menschenhandel betroffen sind, kann niemand sagen. Auch die deutsche Kriminalstatistik spiegelt nach den Worten Rudats in diesem Punkt nicht die Wirklichkeit wider. Für 2009 werden 710 Opfer genannt. "Wir sehen nur die Spitze des Eisbergs", sagte die Kriminalbeamtin.
Quelle: ntv.de, Norbert Hoyer, dpa