Streit um "Unschuldsvermutung" Zypries stimmt Schäuble zu
19.04.2007, 06:54 UhrDer zwischen Union und SPD umstrittene Kurs in der Innen- und Sicherheitspolitik soll nach einem Zeitungsbericht in einer Spitzenrunde der Koalition geklärt werden. Kanzleramtsminister Thomas de Maizire (CDU) sei beauftragt worden, "möglichst rasch" ein Treffen zu organisieren, berichtet die "Leipziger Volkszeitung". Das sei bei der jüngsten Sitzung des Koalitionsausschusses auf Wunsch von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und SPD-Chef Kurt Beck verabredet worden.
Für neue Turbulenzen in der Koalition sorgte Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble (CDU) mit seiner Äußerung, dass die Unschuldsvermutung bei der Terrorabwehr nicht gelte. Der SPD-Bundestagsabgeordnete Klaus Uwe Benneter sagte: "Ein Minister, der Hysterie verbreitet, wird selbst zum Sicherheitsrisiko."
Die stellvertretende SPD-Vorsitzende, Ute Vogt, forderte die Kanzlerin dazu auf, ihrem Innenminister Einhalt zu gebieten. "Wer den Grundsatz der Unschuldsvermutung offen in Frage stellt, ist der falsche Mann, an vorderster Stelle im Staate die Verfassung zu wahren und zu schützen." Der innenpolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, Dieter Wiefelspütz, nannte die Äußerung Schäubles "hochgradig missverständlich". Der Vorsitzende der Gewerkschaft der Polizei, Konrad Freiberg, sagte dem: "Die Unschuldsvermutung hat Verfassungsrang. Ich kann mit nicht vorstellen, dass man sie aufgibt."
"Ungeheuerlich"
Der frühere Bundesinnenminister Gerhart Baum (FDP) bezeichnete Schäubles Vorstoß als "rechtsstaatlich ungeheuerlich". Kanzlerin Angela Merkel (CDU) müsse den Innenminister zur Ordnung rufen, verlangte Baum. "Ich finde es unbegreiflich, dass sie dazu schweigt." Der stellvertretende FDP-Vorsitzende Andreas Pinkwart sagte, Schäuble schieße "erheblich über das Ziel hinaus".
Benneter warf Schäuble vor, ständig neue Anläufe zu nehmen, "um uns seine erzkonservativen Vorstellungen und seine Sicherheitsphobie aufzudrücken". Keinesfalls dürfe das Passregister Auskunfts- und Fahndungsregister werden, sagte er zur Forderung Schäubles, Fingerabdrücke aus Pässen zentral speichern zu können. Auch Justizministerin Brigitte Zypries (SPD) hatte sich am Mittwoch irritiert über ihren Kabinettskollegen gezeigt. Insgesamt sei die Diskussionslage "etwas wirr geworden".
Rückenwind für Schäuble
Der Parlamentarische Geschäftsführer der Grünen, Volker Beck, hält die von der Bundesregierung beschlossene Telekommunikationsüberwachung für verfassungsrechtlich bedenklich. Beck sagte: "Der Bürger hat das Recht, vom Staat in Ruhe gelassen zu werden. Dagegen verstößt, was in der EU-Richtlinie steht und was im Gesetz steht."
Überraschend erhielt Schäuble Rückenwind von Justizministerin Zypries. Die Unschuldsvermutung könne bei der Gefahrenabwehr nicht gelten, da es dabei darum gehe, den Eintritt eines Ereignisses zu verhindern, sagte Zypries am Donnerstag im "Deutschlandfunk". Die Unschuldsvermutung gelte nur bei der Strafverfolgung, und zwar dann, wenn jemand vor Gericht angeklagt ist.
Thema der Koalitions-Spitzenrunde soll nach dem Bericht der "Leipziger Volkszeitung" auch die von Schäuble angeregte Möglichkeit zum Einsatz der Bundeswehr im Inneren sein. Daneben gehe es um die Überarbeitung des Luftsicherheitsgesetzes. Schäuble hatte angekündigt, demnächst Leitlinien zur inneren Sicherheit, insbesondere mit Blick auf die Terrorbekämpfung, vorzulegen. Ergebnisse der Runde sollen dem nächsten Koalitionsausschuss am 14. Mai vorgelegt werden.
Quelle: ntv.de