Helfershelfer von Folter? ai kritisiert ISAF
13.11.2007, 07:32 UhrDie Menschenrechtsorganisation Amnesty International (ai) hat den Umgang der Internationalen Schutztruppe in Afghanistan (ISAF) mit Gefangenen kritisiert. Die Schutztruppe würde Festgenommene an afghanische Behörden, insbesondere den Geheimdienst, übergeben, woraufhin einige Gefangene gefoltert worden oder verschwunden seien, teilte die deutsche Sektion von Amnesty in Berlin mit. Auch deutsche Einheiten hätten Gefangene den Afghanen überstellt. Die NATO wies die Vorwürfe zurück
Das Bundesverteidigungsministerium verweigere gegenüber dem Bundestag genaue Angaben zur Zahl und zum Verbleib dieser Personen, betonte die deutsche ai-Generalsekretärin Barbara Lochbihler. Die Bundeswehr beteiligt sich mit derzeit 3.150 Soldaten an der von der NATO geführten Schutztruppe ISAF.
Auch Grüne und FDP verlangen von der Bundesregierung mehr Aufklärung darüber, was mit den Gefangenen in Afghanistan geschieht. "Es kann nicht sein, dass die Bundesrepublik zur Helfershelferin von Folter wird", sagte Grünen-Chefin Claudia Roth der "Berliner Zeitung". FDP-Vizefraktionschefin Birgit Homburger beantragte einen Bericht der Bundesregierung im Verteidigungsausschuss. "Wir wollen, dass in Afghanistan ein Staat aufgebaut wird, in dem Menschenrechtsstandards eingehalten werden", sagte sie der Zeitung.
Amnesty fordert den vorübergehenden Stopp der Überstellungen von Gefangenen und den freien Zugang zu den Haftanstalten für unabhängige Beobachter. Die NATO wies die Forderung zurück. "Der ISAF liegen keine Hinweise auf eine Misshandlung oder Folterung von Gefangenen vor, die von der NATO in afghanisches Gewahrsam überstellt wurden", sagte NATO-Sprecher James Appathurai. "Afghanistan ist ein souveräner Staat und er trägt die rechtliche Verantwortung für die Gefangenen", sagte der Sprecher. "Es ist nicht Aufgabe der NATO, parallele Gefängnisstrukturen in Afghanistan aufzubauen."
Das Bündnis habe "großen Respekt für Amnesty", so Appathurai. "Aber wir sind nicht für ein Moratorium bei der Überstellung von Gefangenen." Das "einzig angemessene und akzeptable Vorgehen" bestehe darin, die Reformen des Rechtssystems und des Strafvollzugs in Afghanistan voranzubringen. Die entsprechenden Bemühungen sollten verstärkt werden.
Amnesty stützt seine Vorwürfe unter anderem auf Medienberichte über Afghanen, die von kanadischen NATO-Truppen an die einheimischen Behörden überstellt wurden und anschließend von Schlägen und Elektroschocks berichteten. Ein britischer Sender habe gefilmt, wie Soldaten einen Gefangenen an afghanische Sicherheitskräfte übergaben, die diesem mit dem Tod gedroht hätten. Davon unabhängig gebe es auch Hinweise auf Misshandlungen von Gefangenen durch den afghanischen Geheimdienst NDS, schreibt Amnesty in einem 41 Seiten umfassenden Bericht. Zahllose Gefangene des NDS seien gefoltert und misshandelt worden. Sie seien ausgepeitscht, extremer Kälte ausgesetzt oder nicht ausreichend mit Nahrung versorgt worden.
Internationale Konventionen verbieten es, Gefangene auszuliefern, wenn ihnen Folter droht. Die ISAF hat sich mit der afghanischen Regierung darauf verständigt, dass Häftlinge nicht gefoltert werden. Allerdings ist es laut Amnesty unmöglich, diese Übereinkunft angemessen zu überprüfen. Während Briten und Niederländer sich nachweislich bemühten, die Behandlung der Häftlinge in afghanischen Gefängnissen zu beobachten, gebe es in vielen Fällen keine derartige Kontrolle, kritisierte die Menschenrechtsorganisation. Auch das Internationale Komitee vom Roten Kreuz (IKRK) und andere unabhängige Beobachter hätten nur eingeschränkt Zugang zu den Gefängnissen. Besonders im Süden und Osten Afghanistans seien regelmäßige Inspektionen aus Sicherheitsgründen nicht möglich.
Nach den Einsatzregeln der ISAF müssen die ausländischen Truppen in Afghanistan Gefangene binnen 96 Stunden an die afghanischen Behörden überstellen. Das IKRK oder der Rote Halbmond sind über jede Gefangennahme zu informieren.
Quelle: ntv.de