
Ariel Scharon wurde 85 Jahre alt.
(Foto: picture alliance / dpa)
Ein Scharfmacher, "Bulldozer" und "Schlächter von Beirut": Im Nahen Osten wurde Ariel Scharon gehasst wie kaum ein anderer Politiker. Und doch nährten nur wenige mehr die Hoffnungen auf einen Frieden in der Region wie er. Nach jahrelangem Koma ist Scharon einem multiplen Organversagen erlegen.
Er hat "gekämpft wie ein Löwe", bis zum Schluss. Nicht nur der Leiter des Krankenhauses Tel Haschomer bei Tel Aviv war beeindruckt vom Überlebenswillen des ehemaligen israelischen Ministerpräsidenten Ariel Scharon. Doch nun ist der Kampf beendet, Scharon hat ihn verloren. Im Alter von 85 Jahren ist er nach einem multiplen Organversagen gestorben.
Das Leben, die Politik, der Konflikt um seine Heimat Israel - Scharon begriff all das stets als Kampf. Scharon, der am 27. Februar 1928 im britischen Mandatsgebiet Palästina als Sohn jüdischer Einwanderer aus Weißrussland geboren wurde, gab schon seiner Autobiografie, die er 2001 veröffentlichte, den bezeichnenden Titel "Krieger".
Und als "Krieger" wuchs er auf. Als Schüler schloss sich Scharon dem Widerstand gegen die Briten an. Als "Krieger" ging er durchs Leben – als junger Infanterieoffizier im Unabhängigkeitskrieg, der als Folge des UN-Teilungsplans 1948 entbrannte; als Kommandeur der gefürchteten "Einheit 101", die in den 50er Jahren gezielte Racheakte für Angriffe auf den noch jungen Staat in den Palästinensergebieten verübte; als Generalmajor im Sechs-Tage-Krieg, in dem seine Division 1967 bis zum Suezkanal vorstieß.
Im Alleingang zum Sieg
In Israel unvergessen ist aber vor allem der "Krieger" Scharon, der im Jom-Kippur-Krieg 1973 als reaktivierter Kommandeur die Befehle seines Vorgesetzten Generalleutnant Chaim Bar-Lew in den Wind schoss und zum Helden wurde. Mit seinen Panzern durchbrach er die ägyptischen Linien im Sinai und überquerte den Suezkanal. Israel stand mit einem Mal 100 Kilometer vor Kairo und gewann den Krieg.
Der Weg in die Politik war für Scharon mit diesem Triumph endgültig geebnet. Seit 1973 gehörte er der konservativen Likud-Regierung unter Menachem Begin an und machte sich in verschiedenen Ämtern als siedlungspolitischer Scharfmacher einen Namen. "Bulldozer" nannten ihn Freunde und Feinde zeitlebens – ein Hinweis auf seine Statur ebenso wie auf seinen politischen Stil.
Im arabischen Raum hat er einen zweiten, wenig schmeichelhaften Beinamen erhalten: "Schlächter von Beirut". Als Verteidigungsminister befahl er 1982 den Einmarsch in den Libanon. Ziel war es, palästinensische Kämpfer zu vertreiben. Libanesische, christliche Milizen verübten in den besetzten Gebieten Massaker an Palästinensern. Scharon musste als Verteidigungsminister zurücktreten, er soll dafür verantwortlich sein, dass die Gräueltaten nicht unterbunden wurden.
Der Besuch auf dem Tempelberg - ein Provokation
Doch politisch am Ende war der "Krieger" Scharon damit noch lange nicht. Den von Izchak Rabin und Jassir Arafat in den 90er Jahren beschrittenen Weg des Friedens hielt Scharon für einen Fehler, der Rechtsaußen sah in dem späteren Friedensnobelpreisträger Rabin einen Verräter am israelischen Volk. Aus der Opposition heraus versuchte er den Osloer Friedensprozess zu torpedieren. Spätestens seither ist Scharon einer der umstrittensten Politiker des Landes.
Scharon war jedoch immer für Überraschungen gut. Im Jahr 2000, er war Chef seiner Likud-Partei geworden, besuchte er mit einem Tross auf Journalisten und Anhängern den Tempelberg in Jerusalem - seit jeher das Symbol der religiösen Spannungen im Nahen Osten schlechthin. Scharon kam mit einer Friedensbotschaft: "Ich bin überzeugt, dass wir mit den Palästinensern zusammenleben können." Doch dem Besuch folgt das Gegenteil: Unter Palästinensern wird er als Auslöser für die zweite Intifada betrachtet. Der bewaffnete Kampf wurde erbitterter geführt als je zuvor.
Scharon, der "Krieger", reagierte zunächst mit Härte. 2001 wurde er zum Ministerpräsidenten Israels gewählt. Die Gewalt hatte einen Rechtsruck in der Gesellschaft ausgelöst. Ein Frieden im Nahen Osten schien weit entfernt. Scharon lenkte ein, erklärte einen einseitigen Waffenstillstand. Den Terror durch palästinensische Selbstmordattentate beendete er damit aber nicht.
Ein Mann der späten Einsicht
In seiner zweiten Amtszeit ab 2003 vollzog Scharon eine überraschende Wende: Die Regierung erklärte sich bereit, weitere Zugeständnisse zu machen. Scharon, einst rechter Hardliner, war der erste Premier Israels, der von "eroberten Gebieten" sprach, den Begriff "palästinensischer Staat" in den Mund nahm - folgenreiche Worte in dieser Region.
Scharon verfolgte eine "einseitige Trennung" von manchen Palästinensergebieten. 2005 setzte er den israelischen Rückzug aus dem Gazastreifen und die Auflösung der dortigen jüdischen Siedlungen durch. Da Scharon deshalb seine Machtbasis in der Likud-Bewegung verlor, verließ er diese im November 2005 und gründete sechs Wochen vor seinem Schlaganfall die Zentrumspartei Kadima.
Scharon hinterlässt ein zwiespältiges Erbe: Er war einerseits ein rechter Scharfmacher, der die Siedlungspolitik Israels ohne Rücksicht vorantrieb, der durch seine Einsätze 1967 und 1973 als Kriegsheld von vielen verehrt wurde und in seiner Regierungszeit hart gegen die Palästinenser vorging. Scharon war aber eben auch ein einsichtiger Politiker, der - spät zwar, aber immerhin - Wege zum Frieden suchte und dafür das politische Abseits riskierte.
Seit 2006 führte Scharon nun ein Leben im Schattenreich zwischen Leben und Tod. Ein schwerer Schlaganfall ereilte ihn damals, seither lag er im Koma. Acht lange Jahre kämpfte er, der "Krieger", kämpften aber auch Familie und Ärzte um sein Leben. Sie haben seinen letzten großen Krieg, den Krieg mit seinem Körper, verloren.
Quelle: ntv.de, mit dpa/sah