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Arbeitslosigkeit erreicht Rekord Chinas Jugend flieht in die Welt des Glücksspiels

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Vielen jungen Chinesinnen und Chinesen fehlt die Perspektive.

Vielen jungen Chinesinnen und Chinesen fehlt die Perspektive.

(Foto: picture alliance / Mark Schiefelbein/AP/dpa)

Chinas Wirtschaft erholt sich kaum. Mehr als jeder fünfte junge Mensch findet nach dem Studium oder der Ausbildung keinen Job. Verunsicherung macht sich breit. Ein neuer Trend verspricht eine kurze Flucht vor den Sorgen des Alltags: das Spiel mit Rubbel- und Lotterielosen.

Chinas Behörden weisen die Arbeitslosigkeit unter den 16- bis 24-Jährigen nicht mehr gesondert aus - angeblich, weil die Statistikmethoden optimiert und verbessert werden sollen. "Übersetzung: Lasst uns eine neue Methode finden, die die Arbeitslosenquote senkt", ereifert sich ein Internetnutzer im Netzwerk Weibo. Chinas Jugend ist zutiefst verunsichert, sorgt sich um ihre berufliche Zukunft - und greift auch zu außergewöhnlichen Mitteln, um der Lage zu entkommen.

Im Juni lag die Arbeitslosigkeit unter den jungen Menschen bei 21,3 Prozent, das war bereits ein neuer Rekordwert. Angesichts zuletzt enttäuschender Zahlen zur chinesischen Konjunktur dürften sie im Juli kaum besser gewesen sein. "Ich wage gar nicht, mir auszumalen, wie hoch die Arbeitslosigkeit tatsächlich ist", schreibt ein weiterer Nutzer. Und ein Dritter: "Keine Veröffentlichung von Zahlen = keine Arbeitslosigkeit." Seit ein paar Tagen gehört das Thema auf Weibo zu den am meisten diskutierten Problemen.

Auf Pekings Straßen berichten die jungen Menschen von ihren Sorgen. Die 18-jährige Umweltdesign-Studentin Li Nuojin macht sich kaum Hoffnungen auf einen Job nach ihrem Abschluss. "Mit dem Boom von KI werde ich kaum Möglichkeiten in der Branche haben", sagt sie. Ihren Freunden gehe es genauso. Sie sei sehr beunruhigt, beim Gedanken an die Jobsuche bekomme sie Angst. Aber ihr Studium dauert noch ein paar Jahre, daher verdrängt sie diese Sorgen.

Doch auch denen, die Arbeit haben, geht es nicht gut. Die 29-jährige Xue erzählt, dass viele Freunde von ihr gern den Job wechseln würden. "Viele schicken seit einem Monat ihre Lebensläufe herum und hatten auch schon Vorstellungsgespräche." Aber es klappe nicht. Das angebotene Gehalt sei nicht besonders hoch, es warteten viele Überstunden. "Der Arbeitsmarkt gleicht einem Hamsterrad."

Lottolos-Verkauf um 50 Prozent gesteigert

Guo, der selbst im Informatiksektor arbeitet, erzählt von seinem Cousin und dessen Freunden, die lieber weiter studieren wollen, als sich auf Jobsuche zu begeben. Viele von ihnen liebäugeln mit dem öffentlichen Dienst, sagt der 35-Jährige. Das verspricht eine einigermaßen sichere Arbeit.

Andere versuchen, ihrer Lage mit einem neuen Trend etwas entgegenzusetzen: Rubbel-Lose. Die Gründe sind vielfältig - sie wollen dem Stress im Job oder bei der Jobsuche entfliehen, anderweitig Geld verdienen, als Influencerin bekannt werden. Der Verkauf von Lotteriespielen hat im ersten Halbjahr im Jahresvergleich um 50 Prozent zugenommen - und Analysten führen das auf die trübe Wirtschaftslage zurück.

Chen Ying hat umgerechnet schon rund 12.600 Euro für Rubbel-Lose ausgegeben und rubbelt sie vor laufender Kamera unter den Augen ihrer Follower auf der Plattform Douyin frei, der chinesischen Version von Tiktok. Die 26-Jährige spielt nicht unbedingt, um zu gewinnen, sondern will ihre Anhängerschaft vergrößern. Mit Erfolg: Binnen sechs Monaten stieg sie von ein paar hundert auf 45.000. Ein Drittel davon ist unter 23 Jahre alt, viele studieren.

Spielen, um den Sorgen zu entfliehen

Mittags und abends sind die Verkaufsstellen von Losen in Shanghai voller junger Menschen. "Ich mag das Gefühl, mein Glück zu versuchen", sagt der 25-jährige Curtis Cheng. "Wenn du nicht gewinnst, nicht schlimm. Es ist eine Möglichkeit, das eigene Leben etwas aufzupeppen." Außerdem will er wie viele andere auch wenigstens versuchen, die eigene finanzielle Lage zu verbessern.

Erika Cui, ebenfalls 25 Jahre alt, will mit dem Glücksspiel ihren Sorgen entfliehen, wenigstens kurz. Die Wirtschaft sei schwach, der Druck am Arbeitsplatz und im Alltag hoch, die psychische Gesundheit der Menschen angeknackst. "Wenn du spielst, vergisst du das", sagt sie, dieses kurze Vergnügen sei wichtiger als zu gewinnen oder zu verlieren. "Und wer weiß, vielleicht ziehe ich am Ende ja doch das große Los?"

Quelle: ntv.de, Rebecca Bailey und Emily Wang, AFP

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