Frieden ohne Ruhe in Nordirland 10 Jahre Karfreitagsabkommen
10.04.2008, 00:00 UhrMeterhohe Mauern und Stacheldraht, Gewalt und Hass senden nicht die Friedensbotschaft, die Politiker so gerne verbreiten. In Belfast, der Hauptstadt der einstigen Unruheprovinz Nordirland, sind die Überreste von jahrzehntelangem Terror auch heute noch zu spüren. Und das zehn Jahre nach dem Karfreitagsabkommen, das am 10. April 1998 den Weg zum offiziellen Frieden in Nordirland ebnete. Dort, wo sich einst pro-irische Katholiken und protestantische Anhänger der Union mit Großbritannien umbrachten, sitzen die einstigen Erzfeinde zwar inzwischen in einer gemeinsamen Regierung. Doch die Gesellschaft ist immer noch gespalten.
Dennoch: Der sogenannte Osterfrieden legte den Grundstein für ein Leben ohne blutige Anschläge von Terrorgruppen wie der IRA, die britische Besatzung ist nach fast vier Jahrzehnten vorbei. Rund 3500 Menschen fielen dem Terror in Nordirland zum Opfer, Zehntausende wurden verletzt. Die Welt blickte deshalb an jenem Karfreitag auf die kleine Provinz mit ihren 1,7 Millionen Einwohnern: Sollte es hier gelingen, Feinde zusammenzuführen, wäre das ein Vorbild für die ganze Welt.
22 Monate Marathonverhandlung
Nach einer 22-monatigen Marathonverhandlung und einem Aufruf des damaligen US-Präsidenten Bill Clinton stimmten die nordirischen Konfliktparteien letztlich genauso dem 65 Seiten langen Friedensdokument zu wie die britische und irische Regierung. Sie beschlossen eine weitgehend unabhängige Regionalregierung im Staatsverbund mit Großbritannien. Zugleich erklärten die Terrorgruppen, den Waffen abzuschwören, ihre Kämpfer wurden aus Gefängnissen entlassen.
Die "Hand der Geschichte" auf seiner Schulter spürte der damalige britische Premierminister Tony Blair, dem zusammen mit seinem irischen Amtskollegen Bertie Ahern das Abkommen größtenteils zu verdanken ist. Doch die IRA löste erst 2005 ihre Waffendepots auf, andere paramilitärische Truppen folgten noch später. Es sollte noch Jahre dauern, bis die gemeinsame Regionalregierung wirklich dauerhaft funktionierte.
Erst im Mai vor einem Jahr rauften sich die verfeindeten Unionisten und die katholische Sinn Fein Partei wieder zusammen. Heute verstehen sich Ministerpräsident Ian Paisley von der protestantischen DUP und sein Sinn-Fein-Stellvertreter Martin McGuinness, ein ehemaliger IRA-Kommandeur, so gut, dass sie sogar die "Kicherbrüder" getauft wurden. Dass Paisley - einst für seine Weigerung, mit dem Erzfeind an einem Tisch zu sitzen, "Dr. No" getauft - im Mai zurücktritt, wird den Frieden nach allgemeiner Einschätzung nicht gefährden. Auch, dass Blair nicht mehr im Amt ist und Ahern im Mai zurücktritt, gilt nicht als Gefahr.
Gewalt ist nicht beendet
Doch nicht alles ist Gold, was glänzt. "Vieles ist immer noch nicht gelöst. Viele von DUP und Sinn Fein denken, nur weil Paisley und McGuinness miteinander auskommen, müssen sie auch miteinander auskommen", sagte Billy Hutchinson, Politiker und Gemeindearbeiter in Belfast. Immer wieder kommt es zu Gewalt, vor allem gegen Polizisten. Erst am vergangenen Ostermontag warfen Republikaner am Rande einer Parade in Londonderry Steine und Molotow-Cocktails auf Polizisten. Im Dezember wurde ein Beamter ermordet.
Arbeitslosigkeit, Drogenmissbrauch und eine hohe Selbstmordrate bestimmen in den Problemvierteln das Bild. Zwischen den Konfessionen existiert immer noch eine Kluft. "Die Menschen denken, sie werden alleine gelassen, nicht nur politisch, sondern gesellschaftlich und wirtschaftlich", sagte Hutchinson. "Die Leute leben immer noch im Nachteil. Der einzige Unterschied ist die friedlichere Atmosphäre, in der sie damit leben."
Von Annette Reuther, dpa
Quelle: ntv.de