Dossier

Regenbogenfahne und sonst nichts? 100 Tage Schwarz-Grün

Als Drag Queen Paula Jackson als Dreingabe bunte Luftballons vom Hamburger Rathausbalkon in den Himmel steigen lässt, ist Farid Müller sichtlich gerührt. Nach jahrelangem Kampf ist er endlich am Ziel. Denn was dem Grünen-Abgeordneten (GAL) in der Opposition nie gelingen wollte, ist nun dank Deutschlands ersten schwarz-grünen Regierungsbündnisses auf Landesebene möglich. Direkt vor ihm - über dem Rathausmarkt im Herzen der Hansestadt - weht sie: die Regenbogenfahne. Das für Schwule und Lesben so wichtige Symbol hängt am Christopher Street Day, mit dem Segen der Stadt und weithin sichtbar über dem Hauptportal zwischen den Kaiserstatuen von Karl dem Großen und Friedrich I., genannt Barbarossa.

Zumindest in diesem Punkt kann die Regierung von Bürgermeister Ole von Beust (CDU) und seiner Stellvertreterin Christa Goetsch (Grüne) Vollzug melden. Koalitionsvertrag - Seite 53, Mitte - erfüllt. Und sonst? Was haben CDU und Grüne in den ersten 100 Tagen seit ihrer Regierungsübernahme am 7. Mai noch umgesetzt? Beust lässt ausrichten, dass er von Einrichtungen wie "100 Tage im Amt" nichts halte und frühestens nach einem Jahren eine erste Bilanz ziehen wolle. Für die SPD-Opposition liegt der Grund auf der Hand. "Bisher hat Schwarz-Grün nicht eine Entscheidung getroffen", sagt Parteichef Ingo Egloff.

Schulreform auf den Weg gebracht

Das stimmt zwar nicht ganz. So haben CDU und Grüne die wohl tiefgreifendste Schulreform in der Hamburger Parlamentsgeschichte auf den Weg gebracht, haben dabei in einem ersten Schritt zusammen mit SPD und Linken das Ende der Hauptschulen besiegelt. Darüber hinaus treffe Egloffs Eindruck aber durchaus zu, meinen selbst wohlmeinende Stimmen. Sie fügen jedoch an, dass schon einiges wie die Sanierung der Universität angeschoben worden sei. Härtere Kritiker glauben dagegen, dass außer vollmundigen Ankündigungen - so will sich der Senat etwa an der Rettung der vom Verkauf bedrohten Hamburger Reederei Hapag Lloyd mit einem dreistelligen Millionenbetrag beteiligen - von der schwarz-grünen Regierungsmannschaft bislang kaum etwas zu hören gewesen sei.

Und im Parlament? Dort sind vor allem die Grünen immer wieder damit beschäftigt, früher versprochene Ziele wie die Abschaffung der Studiengebühren und des Büchergeldes aus Koalitionsräson zu beerdigen. Und dann beklagen sie sich schon mal, dass SPD und Linke gemeinerweise ausgerechnet immer wieder solche Themen und auch noch unter Hinweis auf eine rechnerische rot-rot-grüne Mehrheit auf die Tagesordnung setzen lassen. Aus dem Bundestag gibt es trotzdem Lob. Die Grünen-Fraktionsvorsitzende Renate Künast sagt, CDU und Grüne hätten ein klares, rational-pragmatisches Programm und arbeiteten sorgfältig miteinander. "Jetzt sieht man, dass sich etwas bewegt."

Die CDU - bisher gewohnt, alles allein zu entscheiden - tut sich ebenfalls noch etwas schwer mit dem neuen Bündnis. Den Koalitionsvertrag ließ sie noch ohne eine einzige Wortmeldung passieren und auch auf dem Parteitag zur Wiederwahl ihres Vorsitzenden wollte niemand reden. Dass die CDU-Mitglieder aber trotzdem nicht unbedingt goutieren, was die Oberen so treiben, zeigte sich am Ergebnis: Parteichef Michael Freytag erhielt gleich 20 Prozentpunkte weniger Stimmen als 2007.

Vertretbare Steuererhöhungen

Inzwischen scheint aber vor allem die schon als "Abnicktruppe" verspottete CDU-Fraktion ihre Sprache wiedergefunden zu haben. Laut wie selten haben Abgeordnete zur Freude der grundsätzlich mit Schwarz-Grün zufriedenen Wirtschaft allen kursierenden Ideen über höhere Steuern oder neue Schulden eine Abfuhr erteilt. "Steuererhöhungen sind absolut unvertretbar. Ich werde dem Senat dabei auch in keiner Weise helfen", sagte die CDU- Wirtschaftsexpertin Barbara Ahrons.

Momentan ist Sommerpause in der Bürgerschaft. Doch schon im Herbst stehen im Parlament schwierige Themen wie der Haushalt 2009/2010 an. Hinzu kommen die Auseinandersetzungen um das umstrittene Steinkohlekraftwerk Hamburg-Moorburg oder die nicht minder umkämpfte Elbvertiefung. Für den Hamburger Politologen, Professor Friedbert Rüb, der Schwarz-Grün eine gute 100-Tage-Bilanz bescheinigt, ist das jedoch kein Problem. "Es werden keine großen Dramen, aber doch strittige Punkte auf die Koalition zukommen", prognostiziert er. "Ich vermute aber, dass man das einigermaßen professionell abhandelt."

Markus Klemm, dpa

Quelle: ntv.de

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