Dossier

Geschwister im Tiefkühlschrank Albtraum in Erfurt

Die Suche nach einer schnellen Mahlzeit mitten in der Nacht hat sich für einen 15 Jahre alten Jungen aus Erfurt am Freitagabend zum Albtraum entwickelt. Er öffnet in der Küche den Tiefkühlschrank, zieht das unterste Fach heraus und schaut in einen der schwarzen Müllsäcke, die dort in der Kälte liegen. Sein Blick fällt auf ein neugeborenes Baby, tiefgekühlt. In Panik läuft der Teenager mit seinem Freund aus dem Haus in einer guten Wohngegend und irrt durch die Stadt. Als die beiden einige Stunden später zurückkehren, treffen sie einen weiteren Freund, besprechen die Situation und alarmieren die Polizei.

So schildert der Leiter der Kriminalpolizei am Sonntag die Umstände, die die Thüringer Polizei schon zum zweiten Mal in diesem Jahr zu toten Babys führten. Die Beamten finden einen weiteren Sack mit einer zweiten Säuglingsleiche. Ein Mädchen und ein Junge, Ende 2002 und Anfang 2004 auf die Welt gekommen, wie bei der Obduktion festgestellt wird. Zumindest der Junge hat mindestens 30 Minuten lang gelebt, teilt Staatsanwalt Michael Heß mit. Die Todesursache stehe noch nicht fest, die Untersuchungen an den tiefgekühlten Körpern ziehen sich hin. Schwierig wird es vor allem bei der älteren Mädchenleiche, die offenbar zwischendurch einmal aufgetaut war, als die Mutter von einem Vorort Erfurts in die Innenstadt zog.

Die bisherigen Ermittlungsergebnisse werfen mehr Fragen auf als sie Antworten geben. Wie ist es der Frau gelungen, die Schwangerschaften geheim zu halten. Warum blieben die Leichen im Tiefkühler so lange unentdeckt? Unklar ist auch, warum die Mutter die Toten in ihrer Küche aufbewahrt hat.

Bislang hat die Frau nach Angaben der Polizei nur ihr Motiv offen gelegt: Die Kinder störten ihre berufliche Planung. Ihr Tod sei allerdings nicht eingeplant gewesen, vielmehr wollte sie die Säuglinge in die Erfurter Babyklappe legen. Die Gründe, warum dies nicht geschehen ist, wollte die Polizei nicht nennen. Über den Vater schweigt sich die 35-Jährige aus. Ihr jetziger Lebenspartner, den sie erst seit rund neun Monaten kennt und bei dem sie sich am Freitagabend aufhielt, kommt als Vater nicht in Frage.

Die Ratlosigkeit wird durch die Umstände der Tat bestärkt: Weder die Mutter, die über einen Realschulabschluss und eine Ausbildung in der Textilbranche verfügt, noch die gutbürgerliche Wohngegend in der Nähe des Erfurter Landtages passen ins gängige Täterinnen-Profil. Tote Babys sind nicht mehr allein Zeichen sozial schwacher Familien in Plattenbausiedlungen.

Der grausige Fund will sich nicht in den idyllischen Eindruck des gelben Wohnblocks mit vier Etagen und ausgebautem Dach einfügen: ordentliche Gardinen an den Fenstern, ein großer Innenhof mit Stellplätzen und gepflegter Rasenfläche, eine Rundbank für Grillabende, blühende Forsythiensträucher. An den Garagen angebaut ein Klettergestell mit Rutsche und ein Mini-Karussell. Nur die beiden Polizisten, die seit Samstag den Eingang bewachen, stören die Ruhe an dem sonnigen Wochenende.

Die Bewohner reagieren auf die schockierende Meldung mit Sprachlosigkeit. Die überwiegend älteren Leute leben seit Jahrzehnten hier und haben die Zugezogenen kaum wahrgenommen. "Hier hat es in einigen Wohnungen dauernd Wechsel gegeben, da verliert man den Überblick", erzählt ein Rentner aus dem Nachbarhaus. Entsprechend gering ist die Bindung, keine Zeichen der Anteilnahme, keine Kerzen, keine Blumen vor dem Haus.

Der 15 Jahre alte Sohn hat nach dem grausigen Fund bei einem Freund Unterschlupf gefunden und wird jetzt vom Jugendamt betreut und abgeschirmt. "Er ist sehr gefasst", sagt Leiter Hans Winkelmann. Zurzeit könne jedoch niemand sagen, was wirklich in ihm vorgehe.

Von Ingo Senft-Werner, dpa

Quelle: ntv.de

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