Dossier

Mehr als der Boss der Bosse An Schleyers Kaffeetisch

Von Solveig Bach

30 Jahre Deutscher Herbst, die Zeitungen sind voller Erinnerungsstücke an den September 1977, als Hanns Martin Schleyer entführt und ermordet wurde. Kaum ein Blatt kommt ohne den Verweis auf eine Homestory über den Arbeitgeberpräsidenten aus, die 1974 unter dem Titel "Boss der Bosse" im "Stern" erschienen war.

Es ist ein schöner Herbsttag in Jasebeck hinterm Elbdeich in Niedersachsen. Hier lebt Kai Hermann, der Autor des Schleyer-Porträts. Nächstes Jahr wird er 70. Vor vier Jahren hat sich Hermann aus dem Berufsleben zurückgezogen. Am Tag zuvor hat er für seine Freunde einen Brunch veranstaltet, das Haus ist noch voller Gäste, die das Wochenende im Wendland verbringen. Man könnte vielleicht noch zusammen Golf spielen, immer wieder klingelt das Telefon.

In vielen Erwähnungen der "Stern"-Geschichte schwingt zumindest ein kleiner Vorwurf mit. Manch einer sieht darin gar einen Katalysator für die spätere Entführung, weil der als Linker geltende Journalist Schleyers Nazi-Vergangenheit beschreibt und zu dem Schluss kommt: "Er (Schleyer) leugnet nicht, beschönigt nicht, entschuldigt nicht. Er hat ein ungebrochenes Verhältnis zur eigenen Vergangenheit."

Hermann ist von solchen Einschätzungen eher überrascht: "In meiner Erinnerung war der Artikel immer zu positiv. Und Schleyer war auch ohne den Artikel das Ziel für die RAF. Es gab kein idealeres."

Ungebrochene Nazi-Biographie

Schleyer, der "Wortführer der Unternehmer", hat ihn damals "wahnsinnig interessiert". "Für jemanden, der halbwegs links dachte, stand Schleyer auf der anderen Seite und war einer der Heerführer des alten Deutschlands und des aufkommenden Neoliberalismus. Die Tarifkämpfe, in denen er stand, waren ja viel härter und auch ideologisch aufgeladener als heute. Schleyer war so ein bulliger Typ und wurde so angesehen: da sitzt ein Nazi, der jetzt wieder ganz oben steht und den Arbeitern die Löhne kürzen will."

"Er war auch für mich der Repräsentant einer Generation, zu der man eigentlich keinen Kontakt hatte und die der Feind war. SS, dann diese Nachkriegskarriere durch SS-Kontakte. Ich hab alles daran gesetzt, diesen Mann, der so symbolträchtig war, kennen zu lernen. Und das ist mir dann auch geglückt. Er war erst sehr abwehrend, ich war ja ein linker Journalist. Und dann sagt er plötzlich: 'Kommen Sie doch mal zu mir nach Hause.'"

59 ist Schleyer damals, verheiratet, Vater und seit neun Monaten Großvater. Hermann kommt in Schleyers Stuttgarter Haus und irgendwie auch in eine andere Welt: "Das war eine gutbürgerliche Familienidylle. Die ganze Familie war da mit diesen artigen Kindern, die an den Lippen ihres Vaters hängen, kein Widerspruch, und der Klavier spielenden Mutti, das war wie im Bilderbuch. Das hat mich befremdet, war aber nicht unangenehm. Ich hab ihn auch nicht als unangenehmen Menschen beschrieben, sondern eher als Menschen, den ich nicht verstehe."

"Eine andere Zeit"

Für Hermann ist die Begegnung eine Überraschung. Schleyer ist anders, als er sich ihn vorgestellt hatte. "Er war sehr viel liberaler, als ich das gedacht hätte, toleranter, wobei das mir gegenüber vielleicht auch ein bisschen taktisch war. Ich war ja bekannt als linker Journalist. Aber er war schon jemand, der sich auch für andere interessiert hat. Von daher war er eine Ausnahme. In dem Establishment habe ich nie wieder so jemanden kennen gelernt, der dann doch so offen und neugierig war."

Beim Kaffeeklatsch wird ein bisschen über Fußball geredet und über Israel. Schleyer ist "Israel-Fan, absolut pro-zionistisch". Hermann, der Israel auch schon erlebt hat, findet diese Seite an dem Daimler-Benz-Vorstand unheimlich. "Ich kannte ja seine Geschichte, er hatte an der 'Entjudung' der Unis mitgewirkt, und sein Bücherschrank war zu einem Viertel gefüllt mit Büchern zum Holocaust, zur Geschichte Israels. Was geht in so einem Kopf vor? Selbstreflexion gab es nicht oder das Eingeständnis, dass er sich je in seinem Leben geirrt hätte. Diese Zeit war ausgeschaltet. Wenn man darauf kam, gab es eine Standardfloskel: 'Das verstehen Sie nicht, das war eine andere Zeit.' Ich fand das eine Frechheit, dass der vor mir sitzt und mir erzählt, wie toll Israel ist."

Hermann ist Jahrgang 1938, ein 68er, früher mal Mitglied im Sozialistischen Studentenbund. Schleyer hätte sein Vater sein können. "Ich hab versucht, Schleyer darauf anzusprechen, aber es war kein Gespräch möglich über die Nazi-Zeit. Man kann sich heute nicht mehr vorstellen, wie ungeheuer dieser Generationskonflikt damals war, auch zu den eigenen Eltern. Es gab keine Kommunikationsebene, auf der man hätte reden können. Die Nazi-Jahre gab es ja für meine Generation gar nicht, weder in der Schule noch sonst wo. Ich weiß nicht, wann ich das erste Mal vom Holocaust gehört habe. Das war kein Gesprächsthema, weder im Radio noch in den Zeitungen, das war ausgelöscht. SS-Leute waren angesehene Leute, auf deren Treffen sprachen Politiker, das war ganz normal."

Bei aller spontanen Sympathie für Schleyer, aus der der "Stern"-Reporter schon damals keinen Hehl machte, bleiben unüberbrückbare Differenzen. "Das sind Leute, die haben kein moralisches Koordinatensystem, das ich akzeptieren würde oder verstehen kann, und insofern bleibt Schleyer auf der anderen Seite. Typen wie Schleyer würde ich als Journalist immer kritisch gegenüber stehen." Hermann hat Schleyer nie wieder getroffen. "Da kam auch hinterher keine Reaktion. Das hat den wahrscheinlich gar nicht gekratzt, was ich da über ihn geschrieben habe."

Keine klammheimliche Freude

Die Entführung durch die RAF, knapp drei Jahre später hat den Journalisten dennoch auch persönlich getroffen. "Ich war schon betroffener, als ich gewesen wäre, wenn ich ihn nicht gekannt hätte. Es war ja etwas weit verbreitet unter den Linken, was man so als 'klammheimliche Freude' beschreiben könnte. So ein Gefühl von: 'Da hat es mal den Richtigen erwischt.' So ein Gefühl ist bei mir nicht aufgekommen."

Sechs Wochen ist Schleyer in der Gewalt der RAF, mehrfach ziehen die Entführer mit ihrer Geisel um. Später berichten sie, sie hätten lange Gespräche mit Schleyer geführt, mit ihm Schach gespielt. Aus der persönlichen Begegnung mit Schleyer ist Hermann von solchen Schilderungen nicht überrascht. "Ich hab mir vorgestellt, wie der mit denen redet und wie erstaunt diese RAF-Leute sind, wenn die den Schleyer treffen, weil der ja deren Klischee überhaupt nicht entsprach. Und ich hab mir gedacht, dass die Probleme mit dem kriegen werden. Weil der ja auch ein Art hatte, auf andere einzugehen. Ich habe auch gedacht, den werden sie nicht umbringen. Wenn die ein bisschen sensibel sind, dann merken die, dass da eigentlich ein ganz interessanter Mensch ist und nicht nur so eine Charaktermaske, als die er dargestellt wurde."

Politisch erlebt Hermann diese Zeit zwiespältig. "Ich war sicher der Meinung damals, man sollte die Gefangenen freilassen. Das wäre falsch gewesen, nachträglich. Aber diese Bilder von Schleyer aus der Gefangenschaft, diese Demütigung, da hört es natürlich auf. Ich hatte schon die Hoffnung, dass die irgendwie dealen, dass das gut ausgeht."

"Das war Mist, das ist abgehakt"

Den Deutschen Herbst hat Hermann nach den hoffnungsfrohen und fröhlichen 68er Jahren als sehr depressive Zeit erlebt. "Ich war nie ein Sympathisant der RAF. Ich kannte die auch zum Teil und wusste, was das für Typen sind. Ulrike Meinhoff ist was anderes. Aber Andreas Baader war für mich ein Arschloch ohnegleichen, unpolitisch, ein Waffennarr, krank. Ich habe das auch schon mit Nazi-Methoden verglichen. Aber die Behandlung der RAF-Gefangenen hat mich auch sehr betroffen. Das waren für mich auch Nazi-Methoden. Ich habe auch die jungen Leute verstanden, die aus dem Gefühl gehandelt haben, so darf man keine Menschen behandeln. Aber das rechtfertigte ja dann nicht, mit Schleyer so umzugehen. Da hat man Sympathien für gefolterte Gefangene und wird dann selber zum Folterer, das verstehe ich nicht."

Hermann hat nicht viel von dem gelesen, was jetzt über den Deutschen Herbst geschrieben wird. Irgendwie ist es lange her. "Meine Generation interessiert das überhaupt nicht mehr. Das war Mist, das ist abgehakt." Die Sonne scheint. Gleich ist er verabredet.

Quelle: ntv.de

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