Dossier

"Es ist hart, Uigure zu sein!" An den Rand gedrängt

Die Provinz Xinjiang liegt an Chinas Nordwest-Rand. Und an den Rand gedrängt fühlt sich schon seit langem die dort lebende Minderheit der muslimischen Uiguren. Während im übrigen Land die Wirtschaft floriert, klagen die Einwohner von Xinjiang über steigende Preise und Arbeitslosigkeit. Viele Uiguren fühlen sich durch die Han-Chinesen diskriminiert, die sich seit den 90er Jahren in großen Scharen hier niederlassen. Die islamistischen Rebellen, denen der Granatenangriff auf eine Polizeistation am Montag zugeschrieben wird, wecken daher zwiespältige Gefühle: Einerseits hegen viele Uiguren Sympathien für das Ziel eines eigenen Staates, andererseits leiden sie unter dem Generalverdacht gegen ihre Volksgruppe.

"Es ist hart, Uigure zu sein", sagt Yusup, der seinen Nachnamen nicht nennen will. Der 36-Jährige schlägt sich in Aksu, einer abgelegenen Ortschaft in Xinjiang, mit mehreren Jobs durch. Er arbeitet in der Baumwollproduktion, verdient ein bisschen als Händler dazu und fährt ab und zu das Taxi seines Freundes. Alles in allem verdient er damit 1000 Yuan, umgerechnet knapp 100 Euro, pro Monat. Yusup hat daher andere Sorgen als Politik und Religion. "Wir wollen nur in der Lage sein, uns durchzuschlagen."

Keine Hoffnung auf Ost-Turkestan

Yusup ist zwar Muslim, aber nicht besonders religiös. Er trägt nicht die typische Kopfbedeckung der Uiguren und spricht anders als die meisten anderen Angehörigen seiner Volksgruppe fließend Mandarin. Trotzdem fühlt er sich vom chinesischen Staat benachteiligt. Auf die Gründung eines eigenen Uiguren-Staates namens Ost-Turkestan, für die die Rebellen in Xinjiang kämpfen, setzt Yusup aber keine Hoffnung. "Das wird nicht passieren. China wird es nicht erlauben", ist er überzeugt. "Viele Menschen unterstützen diese Gruppen in ihrem Herzen", sagt auch eine junge Frau aus Aksu. "Aber was wird das bringen?"

Nach Einschätzung des Uiguren-Experten James Millward von der Georgetown University in Washington spiegeln diese Aussagen eine weit verbreitete Haltung in Xinjiang wieder. Auch wenn uigurische Islamisten für Anschläge wie den Angriff am Montag auf eine Polizeistation in Kashgar verantwortlich gemacht werden, handelt es sich laut Millward nicht um eine aufständische Provinz. Dieses falsche Bild habe sich auch wegen Chinas Terror-Vorwürfen gegen Angehörige der uigurischen Volksgruppe in der Welt verbreitet.

Nur die Mittelschicht blüht auf

Unzufriedenheit herrscht in Xinjiang aber allemal. Während im übrigen Land die Wirtschaft boomt, gibt es hier nicht genügend Arbeit. Begeisterung für die bevorstehenden Olympischen Spiele in Peking will in der nordwestlichen Provinz nicht aufkommen, wird das Sportereignis doch für die steigende Inflation mitverantwortlich gemacht. Außerdem litten sie unter den Vorurteilen der Han-Chinesen, erzählt eine junge Frau aus Aksu. "Wenn wir in eine Bank gehen, behandeln uns die Leute da grob und misstrauen uns."

Nicht alle Uiguren haben Grund zur Unzufriedenheit. Dank des beispiellosen Wirtschaftsaufschwungs im vergangenen Jahrzehnt mit einer zweistelligen Wachstumsrate lebe die uigurische Mittelschicht genauso gut wie die der Han-Chinesen, sagt Experte Millward. "Die Wirtschaft ist heute besser als je zuvor", bestätigt der uigurische Reiseveranstalter Abdulkerim, dessen Einkommen sich in den vergangenen fünf Jahren verdreifachte.

Bei vielen anderen Uiguren hat sich das Leben in den vergangenen Jahrzehnten aber kaum verändert, sie leben weiterhin von Ackerbau und Viehzucht. Manch' neidischen Blick werfen sie auf die zugewanderten Han-Chinesen. "Es ist so, als ob diese Leute in einem brandneuen Hochgeschwindigkeitszug unterwegs sind", sagt eine Bewohnerin von Aksu. "Wir aber kommen nur schnaufend voran."

Dan Martin, AFP

Quelle: ntv.de

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