Menschenverachtend? Ausbilder vor Gericht
11.03.2008, 08:51 UhrDieser Prozess ging an die Substanz. 46 Verhandlungstage, weit mehr als 200 Zeugen, fast ein volles Jahr Verhandlungsdauer. Am Mittwoch spricht das Landgericht Münster seine Urteile im größten Strafprozess gegen Soldaten der Bundeswehr seit deren Gründung. Die Richter der 8. Großen Strafkammer müssen entscheiden, ob sich ehemalige Unteroffiziere der Coesfelder Freiherr-vom-Stein-Kaserne strafbar gemacht haben, als sie ihre Rekruten zu fingierten Geiselnahmen heranzogen.
Dabei soll es nach Darstellung der Staatsanwaltschaft im Jahr 2004 zu gewalttätigen Exzessen und Misshandlungen gekommen sein. Insgesamt sollen mehr als 160 Rekruten von Fesselungen, Demütigungen und einige sogar von leichten Stromstößen betroffen gewesen sein. "Menschenverachtend" nannte Staatsanwalt Michael Frericks einen Teil der Übungsinhalte - etwa, als Ausbilder am Boden knienden Soldaten auf die Stahlhelme schlugen und diese wie ein menschliches Xylofon die einzelnen Silben einer Biermarke rufen mussten.
Moralisch verwerflich, intern akzeptiert
Dümmliches Männlichkeitsritual oder Straftat? Die gesellschaftliche Ablehnung der Vorkommnisse von Coesfeld war nach deren Bekanntwerden einhellig. Ein Aufschrei ging durch die Republik, Politiker über alle Parteigrenzen hinweg zeigten sich empört und forderten Aufklärung. Der damalige Verteidigungsminister Peter Struck (SPD) verlangte, die Ausbilder müssten "den Rock ausziehen". Prompt wurden alle 18 Angeklagten vorläufig vom Dienst in der Bundeswehr suspendiert. Einige tragen inzwischen aber wieder ihre Uniform, sind jedoch nicht mehr in der Ausbildung eingesetzt.
So klar die moralische Ablehnung gegen die teils ausgearteten Militärübungen ausfiel, so klar auch der Verstoß gegen die Ausbildungsordnung der Bundeswehr nachweisbar sein mag, so schwierig ist die strafrechtliche Aufarbeitung. Viele der betroffenen Rekruten sahen sich bei den Übungen keineswegs misshandelt. Im Gegenteil: Ein Höhepunkt der Ausbildung sei das gewesen, sagten einige von ihnen im Zeugenstand.
So müssen die Richter um den Kammer-Vorsitzenden Thomas Mattonet auch über die Frage entscheiden, ob gefährliche Körperverletzung auch dann angenommen werden kann, wenn sich die Opfer gar nicht als Opfer fühlen. Und noch mehr: Die Rekruten hatten laut Zeugenaussagen nachweislich die Möglichkeit, die Übungen bei Nennung eines Codewortes abzubrechen, ohne Nachteile fürchten zu müssen. Nur einzelne machten davon Gebrauch.
Urteil ohne Opfer?
Im Verlauf des Prozesses sprach das Gericht bereits zwei Angeklagte frei, das Verfahren gegen zwei weitere wurde eingestellt. Zwei erhielten Geldstrafen, einer 18 Monate Haft auf Bewährung. Ein Verfahren wurde abgetrennt.
Die verbliebenen Angeklagten selbst wissen auch nach einem Jahr Gerichtsprozess noch nicht so recht, wie ihnen geschieht. Sie hätten doch nur eine gute, spannende Ausbildung bieten wollen, beteuerten sie auch noch in ihren Schlussworten. Von Gewaltexzessen, Misshandlungen, gar Folter - wie in teils überzogenen Medienberichten geschildert - wollen sie nichts wissen. Mehr noch als die Strafandrohung von bis zu zwei Jahren Haft auf Bewährung fürchten sie deren Folgen.
Im Falle einer Verurteilung bleibt jeder der Ausbilder auf etwa 50.000 Euro Gerichts- und Anwaltskosten sitzen. Wer ein Jahr Haftstrafe oder mehr bekommt, scheidet als Kandidat für den Staatsdienst aus. Die Stadt Wuppertal hat unabhängig von einer Verurteilung zwei der Angeklagten vor Ablauf ihrer Probezeit wieder aus der städtischen Feuerwehr entlassen.
Michael Donhauser, dpa
Quelle: ntv.de