Dossier

Reden über die Entführung Bergsteiger verarbeiten Trauma

Der Schock, die Ängste, die Ungewissheit - das ganze emotionale Auf und Ab hat sich bei den drei Bergsteigern aus Bayern nach dem glücklichen Ende ihrer Entführung ein bisschen gelegt. Und so schildern sie nach und nach in verschiedenen Interviews etwas genauer die Entführung am Berg Ararat durch kurdische Rebellen. Am Abend standen plötzlich die Entführer an den Zelten - "mit umgehängten Kalaschnikows", sagte der 65-jährige Helmut Hainzlmeier. "Sie haben uns unmissverständlich klargemacht, dass es sich um eine Entführung handelt." Und sie machten klar, dass sie als Geiseln keine Alten, keine Frauen und niemanden wollten, der nicht absolut fit ist - mit Blick auf die bevorstehenden langen Nachtmärsche durch unwegsames Gelände.

"Im ersten Moment dachte ich noch: Was passiert da eigentlich? Da hatte ich noch keine Angst", berichtet Lars Holger Reime. "Manchen schossen gleich Tränen in die Augen." Und offenherzig schildert der 33-jährige Reime aus dem oberbayerischen Laufen, dass er inständig hoffte, der Kelch möge an ihm vorübergehen. "Ich stand ganz hinten und habe gezittert und an meine Tochter und meine Frau gedacht." Doch die Entführer wählten Reime als Geisel aus, ebenso den 47-jährigen Martin S. aus Ingolstadt. Und sie akzeptierten das Angebot von Hainzlmeier, als Leiter der Reisegruppe freiwillig mitzukommen.

"Sie haben uns gesagt, dass sie uns nach sechs Tagen freilassen wollen", berichtet der aus Abensberg stammende Hainzlmeier. Vielleicht deshalb hatte der 65-Jährige, wie er gleich nach der Rückkehr sagte, nie um sein Leben gefürchtet. Die Geiseln wurden immer wieder an andere Orte gebracht. "Die erste Nacht sind wir unheimlich schnell gelaufen, was uns ziemliche Schwierigkeiten bereitete", erinnert sich Reime. "Immer mal wieder stolperte einer von uns, und es schoss mir durch den Kopf: "Was passiert, wenn Du Dir jetzt ein Bein brichst? Die tragen dich doch nicht auf einer Bahre mit."

Als eigene Geschichte annehmen

Das Erzählen ist wichtig für die Opfer. Denn mit dem Reden über traumatisierende Erlebnisse beginne auch deren Verarbeitung, erläutert Notfallseelsorger Andreas Müller-Cyran vom Erzbistum München und Freising. "Wenn man in der Lage ist, das Erlebte und Erlittene in Worte zu fassen, ist das ein wichtiges Zeichen, dass man auf dem Weg ist, dieses in die eigene Lebensgeschichte zu integrieren." Es komme aber auch vor, dass Betroffene nach ihrer schrecklichen Erfahrung sprachlos bleiben. "Die Sprachlosigkeit kann dann Bestandteil einer psychischen Erkrankung nach einer Traumatisierung sein."

Und so spricht auch Hainzlmeier mehr und mehr: "In der vierten Nacht hat man uns in eine Höhle gebracht. Etwa 20 Meter lang und 5 Meter breit. Da waren wir drei volle Nächte drin und das war eigentlich das Schlimmste ohne Tageslicht, ohne etwas Warmes zu essen oder zu trinken." Wenigstens war die Grundversorgung sichergestellt. "Wir mussten nicht Hunger leiden und wir mussten nicht Durst leiden." Den Aufenthalt in der Höhle hat auch Reime als besonders schlimm erlebt: "Wir waren dort drei Tage in der Dunkelheit. Überall gab es Flöhe und es stank nach dem eigenen Kot."

Entführer waren freundlich

Größte Angst hätten sie vor einer möglichen Befreiungsaktion des türkischen Militärs gehabt, die aber glücklicherweise unterblieben sei, sagt Hainzlmeier. "Die hätten die Möglichkeit gehabt, in das Gebiet einzumarschieren, und sie hätten uns mit Suchhunden bestimmt gefunden - dann wäre das anders ausgegangen." Die drei Bergsteiger waren immer gut informiert, täglich um 17 Uhr durften sie die Deutsche Welle hören. "Sie waren immer freundlich", sagt Reime über die Entführer.

Und dann das Happy End - die Freilassung und Übergabe der Geiseln an einen Hirtenjungen, der die drei Männer ins Tal brachte. Aber Reime betont: "Sicher habe ich mich erst gefühlt, als während einer chaotischen Befragung durch die türkische Polizei zwei Leute vom Bundeskriminalamt auftauchten...Die sagten: Da müsst Ihr noch durch, dann nehmen wir Euch mit."

Jürgen Balthasar, dpa

Quelle: ntv.de

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