Von ALG bis Wehrpflicht Beschlüsse des SPD-Parteitags
28.10.2007, 15:25 UhrDie SPD hat auf dem Bundesparteitag in Hamburg eine Reihe von Beschlüssen zur Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik, zum Klimaschutz, zur Teilprivatisierung der Bahn, zur inneren Sicherheit und zur deutschen Außenpolitik verabschiedet. Außerdem beschloss die Partei ein neues Grundsatzprogramm. Die wichtigsten Ergebnisse im Überblick:
Grundsatzprogramm: In dem "Hamburger Programm", das das Berliner Manifest von 1989 ersetzt, betonen die Sozialdemokraten ihre traditionellen Werte. Der innerparteilich umstrittene Begriff des demokratischen Sozialismus als SPD-Ziel ist gleich mehrfach vertreten. Aufgenommen wurde eine scharfe Kritik an den Auswüchsen des Kapitalismus. Auch in den Aussagen zu einzelnen Politikbereichen werden linke Akzente gesetzt.
Bahnreform: Dem geplanten Börsengang der Deutschen Bahn haben die Delegierten nur unter Vorbehalt zugestimmt. Nach dem SPD-Konzept soll die Bahn mit einem Anteil von mindestens 25,1 Prozent Volksaktien an die Börse gebracht werden. Durch die Ausgabe dieser stimmrechtslosen Aktien soll ein Einfluss ausländischer Investoren und eine Zerschlagung des Konzerns mit seinen 230.000 Mitarbeitern verhindert werden. Da es starke Vorbehalte an der SPD-Basis gibt, erzwangen die Delegierten von der Parteiführung ein schwerwiegendes Zugeständnis: Wenn bei der Privatisierung der Bahn vom SPD-Modell der Volksaktie abgewichen werden sollte, hat ein weiterer Parteitag das letzte Wort darüber.
Arbeitslosengeld: Ältere Arbeitslose sollen länger Arbeitslosengeld I bekommen: über 45-Jährige bis zu 15 Monate, über 50-Jährige bis zu 24 Monate. Erst 2006 war die Bezugszeit auf zwölf und für über 55-Jährige auf 18 Monate verkürzt worden. Arbeitsminister Franz Müntefering hatte die Korrektur bis zuletzt abgelehnt. Er sieht darin eine Aufweichung der Reform-"Agenda 2010". Mit dem Neun-Punkte-Reform-"Programm für ein soziales Deutschland" folgten die Delegierten dem Vorschlag von SPD-Chef Kurt Beck für eine längere Bezugsdauer. Die SPD übernimmt damit ein Konzept der Gewerkschaften. Dies wird laut SPD etwa 800 Millionen Euro zusätzlich kosten. Laut Bundesagentur für Arbeit droht es weitaus teurer zu werden.
Zeitarbeit: Leiharbeiter sollen nach wenigen Monaten in dem Unternehmen, an das sie ausgeliehen sind, das gleiche Geld erhalten wie die Stammbelegschaft. Für über 60-jährige Beschäftigte wird ein Rentenbonus geprüft. Der Arbeitslosenbeitrag sinkt 2008 auf 3,5 Prozent. Gefordert wird ein gesetzlicher Mindestlohn von 7,50 Euro pro Stunde
Mindestlohn: Nach dem Willen der SPD soll ein flächendeckender, gesetzlicher Mindestlohn von 7,50 Euro pro Stunde eingeführt werden. Eine faire Entlohnung für Mini-Jobber auf 400 Euro-Basis soll durch Begrenzung der Arbeitszeit auf 15 Stunden pro Woche erreicht werden.
Familienpolitik: Die SPD sprach sich gegen das von der Union geforderte Betreuungsgeld aus, die sogenannte Herdprämie. Stattdessen sollen einmalige Leistungen für Kinder von Hartz-IV-Empfängern wieder eingeführt, Kinderzuschläge erhöht und der Kreis der Bezugsberechtigten vergrößert werden. Verabschiedet wurde zudem die Forderung, das Kindergeld weiterhin im Höchstfall bis zum 27. Lebensjahr zu zahlen, und nicht wie von der Koalition geplant nur noch bis 25 Jahre.
Pflege: Die SPD hält einen zehntägigen bezahlten Urlaub zur Organisation der Pflege von Angehörigen für notwendig.
Studiengeb ühren: Das Erststudium soll nach dem Willen der SPD gebührenfrei sein.
Tempolimit: Überraschend stimmten die Delegierten für ein generelles Tempolimit von 130 km/h "als schnellen und unbürokratischen Weg zum Klimaschutz". Laut Umweltminister Sigmar Gabriel kann die CO2-Emission durch das Limit pro Jahr um 2,5 Millionen Tonnen reduziert werden.
Energie: Um die Treibhausgase in Deutschland bis 2020 um 40 Prozent zu vermindern, soll der Stromverbrauch bis dahin um 11 Prozent gesenkt werden. Der Anteil erneuerbarer Energien soll um 14 Prozent und von Biokraftstoffen um 20 Prozent gesteigert werden. Die Forderung, fossile Kraftwerke nur noch mit Kraft-Wärme-Kopplung zu genehmigen, fand eine knappe Mehrheit.
Dienstwagen: Überraschend forderte der Parteitag den Wegfall der steuerlichen Besserstellung von Dienstwagen mit hohem Spritverbrauch.
Innere Sicherheit: Lkw-Mautdaten sollen von Sicherheitsbehörden auch zur Verfolgung von schweren Straftaten und zur Gefahrenabwehr genutzt werden können. Ein Befehl zum Abschuss von entführten Passagierflugzeugen ist nach Ansicht der SPD nicht vereinbar mit dem Grundgesetz. Ein Einsatz der Bundeswehr im Inneren wird abgelehnt. Auch den von der CDU/CSU geforderten Online-Durchsuchungen stimmt die SPD vorerst nicht zu. Die SPD will über Online-Durchsuchungen von Privatcomputern erst beraten, wenn das Bundesverfassungsgericht dazu entschieden hat.
Afghanistan: Den umstrittenen Anti-Terror-Einsatz OEF unter dem Kommando der USA, der im November im Bundestag erneut zur Abstimmung ansteht, trägt die SPD weiter mit. Das Ja zur "Operation Enduring Freedom" verband der Parteitag aber mit Forderungen nach einem Strategiewechsel. Zugleich fordert die SPD mehr Anstrengungen, zivile Opfer zu vermeiden.
Wehrpflicht: Die SPD will die Wehrpflicht faktisch abschaffen und stattdessen eine Freiwilligenarmee aufbauen. Die Wehrpflicht bleibt zwar formal erhalten. Wehr- oder Zivildienst soll aber nur noch leisten, wer sich freiwillig dazu bereiterklärt. Die jungen Männer wären auch nicht mehr gezwungen, alternativ Zivildienst zu leisten, wenn diese freiwillige Wehrpflicht eine Bundestagsmehrheit finden sollte.
NPD-Verbot: Der Parteitag forderte einen neuen Anlauf für ein Verbot der rechtsextremen NPD, an deren aggressiver Haltung gegenüber der Verfassungsordnung es keine Zweifel gebe. "Deshalb muss die NPD verboten werden." Vor vier Jahren war ein Verbotsverfahren vor dem Bundesverfassungsgericht gescheitert.
Dialog der Kulturen: Die SPD will statt eines von Teilen der CDU/CSU propagierten Konzepts einer "deutschen Leitkultur" einen Dialog der Kulturen. In dem beschlossenen Leitantrag "Kultur ist unsere Zukunft" heißt es: "Wir brauchen für das Einwanderungsland Deutschland eine Kultur der Anerkennung und des Respekts über kulturelle Unterschiede hinweg."
Quelle: ntv.de