Dossier

"In Kameradschaft versunken" Bonner Koalitionsidylle

Die Höhenluft wirkte offensichtlich stimulierend. Ganz zum Schluss der zweitägigen Klausur auf dem Petersberg bei Bonn klopften sich die Hauptakteure gegenseitig auf die Schulter. Ein Treffen in einem "außerordentlich positiven Klima" sei das gewesen, gab sich SPD-Fraktionschef Peter Struck fast schon euphorisch. Und nicht weniger aufgeräumt präsentierte sich Peter Ramsauer. Bei der Klausur der Fraktionsspitzen habe man quasi "die Reset-Taste" wie beim Neustart am Computer gedrückt. "Es geht jetzt wieder von vorne los", gab der CSU-Landesgruppenchef als weitere Marschrichtung in der Koalition vor.

Volker Kauder wollte sich nicht ganz so sehr hinreißen lassen. Die Zeit der gegenseitigen Grobheiten sei nun vorüber, signalisierte auch der Unionsfraktionschef. Allerdings bleibe in der Koalition das "schwierige Umfeld", ein deutlicher Seitenhieb auf den SPD-Flirt mit der Linkspartei, der die Atmosphäre im Regierungslager weiter erheblich belastet.

Für jeden Streitpunkt einen Kompromiss

Die Koalition ist handlungsfähig - dieser Satz wurde in den beiden Tagen in der ehemaligen Politmetropole am Rhein stets aufs Neue beschworen. Um dafür den Beweis anzutreten, hatten sich die Fraktionsspitzen selbst enorm unter Erfolgsdruck gesetzt. Immerhin wurden einige handfeste Ergebnisse dafür geliefert. Dauerkonflikte wie der Streit um die Pflege-Stützpunkte und um die Eigenheimrente wurden per Kompromiss abgeräumt. Auch einige Wohltaten wurden einträchtig verteilt, wie die Erhöhung des Wohngelds und mehr Geld für Verbrechensopfer und Contergan-Geschädigte.

Doch erst die kommenden Wochen werden zeigen, ob die zum Teil in nächtlicher Mund-zu-Mund-Beatmung erreichte Wiederbelebung der großen Koalition, die viele in den letzten Tagen schon für halbtot erklärt hatten, auch tatsächlich geglückt ist. Zumindest kamen sich beide Seiten beim abendlichen Buffet im Grandhotel Petersberg mit Saltimbocca, Lachs, italienischen Vorspeisen und rheinischer Mettwurst wieder etwas näher. Bei der Pflege, wo es noch besonders hakte, mussten Kauder und Struck im Kaminzimmer unter vier Augen letzte Hand anlegen. In der "Big Animals Bar" blieben einige noch bis die Nacht hocken. "Wir sind in Kameradschaft versunken", lautete am Morgen der Kommentar eines Teilnehmers mit spöttischem Unterton.

Wehmütiges Erinnern im Westen

Vielleicht sorgte auch der nostalgische Tagungsort für neue Versöhnlichkeit. Immer wieder war die Rede von den Tagen damals in Bonn, als Politik noch viel einfacher war als jetzt in Berlin. "Natürlich kommt Wehmut auf. Aber das ist Vergangenheit", zeigte auch Struck vor dem ehemaligen Wasserwerk im alten Regierungsviertel Gefühle.

Mit dem umgebauten Pumpenhaus aus der Kaiserzeit, in dem der Bundestag als Ausweichquartier bis zur Fertigstellung des neuen Plenarsaal 1992 insgesamt 363 Mal tagte, verbinden sich für viele der Neu-Berliner noch besonders lebhafte Erinnerungen. Alle wichtigen Entscheidungen auf dem Weg zur Wiedervereinigung erlebten die Abgeordneten dort. Am 9. November 1989 wurden sie dort von der Öffnung der Mauer überrascht und stimmten die Nationalhymne an. Und auch der Umzugsbeschluss nach Berlin am 20. Juni 1991 wurde dort mit knapper Mehrheit entschieden. Vor dem Bundesadler an der Stirnwand erinnerte Kauder die Mitgereisten an die weinenden Garderobenfrauen nach dem Votum von damals.

Von Joachim Schucht

Quelle: ntv.de

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