Dossier

Haferschleim gegen Kaviar Brown böse verglichen

Um das volle Ausmaß der Krise zu verstehen, in der Großbritanniens Premierminister Gordon Brown derzeit steckt, müssen einem die Feinheiten der britischen Küche geläufig sein. An Porridge oder sogar Haggis erinnere Browns Führungsstil, sagte ein Kritiker aus der eigenen Labour-Partei. Der Stil von Tony Blair, Browns Vorgänger, sei dagegen "Champagner und Kaviar". Das sitzt tief, ist doch Haggis ein aus Hammelmagen und Nierenfett gekochtes Gericht und Porridge schlicht Haferschleim. Nicht mal zwei Wochen vor den Kommunalwahlen am 1. Mai in England und Wales scheint Brown vor den Trümmern seiner knapp einjährigen Amtszeit zu stehen. In der Partei wird rebelliert, Namen für einen Nachfolger machen schon die Runde.

Besonders schmerzlich ist dabei der immer lauter werdende Ruf nach Blair. Oberhaus-Mitglied Lord Desai gab zuletzt unumwunden zu: "Brown erinnert die Leute daran, was für ein guter Premierminister Tony Blair war." Ein schwerer Schlag - war Blair doch über ein Jahrzehnt hinweg Browns ärgster Rivale.

Krisenherde und schlechtes Timing

Es scheint, als wisse der Schotte gar nicht mehr, an welcher Front er zuerst kämpfen soll: Die Kreditkrise hält das Vereinte Königreich fest im Griff, Brown wird dabei als ehemaliger Finanzminister zur Rechenschaft gezogen. Am Wochenende machten mehrere Abgeordnete ihrem Unmut über Steueränderungen Luft, die den ärmsten Bürgern schadeten. Brown sah sich sogar genötigt, während seines US-Besuchs zum Hörer zu greifen, um Angela Smith, ein relativ kleines Licht in der Partei, vom Austritt abzuhalten. Nick Clegg, Chef der Liberaldemokraten, höhnte: "Browns Regierung löst sich vor unseren Augen auf."

Der Besuch in den USA sollte eigentlich eine wohltuende Ablenkung von den Querelen zu Hause sein. Aber selbst über den Atlantik verfolgte Brown das Pech: Erstens ging der Besuch in der Papstbesuch-Manie fast unter, zweitens schwebte der Blair-Vergleich wie eine düstere Wolke über Brown. "Wenn Blair Bushs Pudel war, dann ist Brown ein Tamagotchi - eine nur virtuelle Figur im globalen Politikerzoo", schrieb der "Daily Telegraph" in Anspielung auf die geringe Bekanntheit des Premiers.

Kein Verständnis für Wahlabsage

Dabei sah Ende Juni, als Brown das Amt von Blair übernahm, alles noch so gut aus: Die Regierung eilte von einem Umfragehoch zum nächsten, Brown habe die versuchten Terroranschläge von London und Glasgow, die Maul- und Klauenseuche und die Flut hervorragend gemeistert, war die Meinung der Presse. Doch spätestens seit er die Parlamentswahlen, die in Großbritannien der Premier selbst ansetzen darf, trotz monatelanger Spekulationen in letzter Minute abgesagt hatte, war es um sein Ansehen geschehen. Die Labour-Umfragwerte sind seitdem im Keller.

Schon zirkuliert der Name Ed Balls - der des Familienministers - im Londoner Regierungsviertel. Und er wird vermutlich weitere Kreise ziehen, falls Labour bei den Kommunalwahlen eine Schlappe erleidet. Trösten kann sich Brown bis dahin mit einem Blick nach Deutschland. So stellte der "Guardian" die rhetorische Frage, ob die "weniger prickelnden Tugenden" von Porridge-Politikern "wie einer Angela Merkel" nicht den Qualitäten der Champagner-Typen wie Nicolas Sarkozy vorzuziehen seien.

Von Annette Reuther, dpa

Quelle: ntv.de

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