Schwarz-Grüne Perspektiven in NRW "CDU ist verlässlicher Partner"
11.03.2010, 17:13 Uhr
Aus Hessen gelernt: Löhrmann ist gegen Ausschließeritis.
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Die Spitzenkandidatin der Grünen lässt sich für die Landtagswahl in NRW möglichst viele Optionen offen. "Wenn es für Rot-Grün nicht reichen sollte, dann müssen wir ausloten, in welcher Konstellation es die größte Zustimmung geben kann", sagt Löhrmann im Interview mit n-tv.de. In den Kommunen habe sich die CDU als "verlässlicher Partner" erwiesen. Zu den Hartz-IV-Vorstößen der SPD-Chefin Kraft meint die Fraktionschefin der Grünen: "Es steht nicht zu befürchten, dass Hannelore Kraft Thilo Sarrazin in ihr Schattenkabinett beruft."
n-tv.de: Die SPD-Landesvorsitzende Hannelore Kraft folgt Westerwelles Spuren in der Hartz-IV-Debatte. Disqualifiziert sich gerade ihre Koalitions-Wunschpartnerin?
Sylvia Löhrmann: Falls es die Absicht von Frau Kraft ist, darüber zu diskutieren, wie man Langzeitarbeitslose in gesellschaftlich notwendigen Bereichen in sozialversicherungspflichtige Arbeitsverhältnisse bringt, dann liegt sie richtig. Diese Diskussion muss man führen. Allerdings hat Frau Kraft die Diskussion mit falschen Beispielen und auch zu einem denkbar ungünstigen Zeitpunkt angestoßen. Dem richtigen Anliegen hat Frau Kraft insofern einen Bärendienst erwiesen.
Nun wird sie von Guido Westerwelle, der eine unsägliche Diffamierungs-Kampagne gegen Hartz IV-Bezieher losgetreten hat, in Mithaftung genommen. Und Jürgen Rüttgers ist froh über das Ablenkungsmanöver von seiner Sponsoring-Affäre. Also: Gut gemeint, ist noch lange nicht gut gemacht. Fazit: Es steht nicht zu befürchten, dass Hannelore Kraft Thilo Sarrazin in ihr Schattenkabinett beruft.
Zunächst einmal kämpfen wir für Grün pur und unseren Zukunftsplan für NRW. Wegen der größten Übereinstimmungen mit der SPD wollen wir eine rot-grüne Koalition, und die rückt in greifbare Nähe. Die derzeitigen Umfragen geben uns Rückenwind. Aber wir haben uns bewusst auch andere Optionen offengehalten: Wenn es für Rot-Grün nicht reichen sollte, dann müssen wir ausloten, in welcher Konstellation es - zur Verhinderung einer lähmenden Großen Koalition - die größte Zustimmung für unser Programm geben kann. Bedingung dafür wäre, dass sich die CDU in Zukunftsfragen entscheidend auf uns zubewegt, oder ob die Linke - statt Tagträumen nachzuhängen und sich der Verantwortung zu verweigern - mit uns konkrete Reformpolitik auf den Weg bringen will. Wenn wir unsere Ziele in einer Koalition nicht durchsetzen können, gehen wir in die Opposition.
Schwarz-Grün scheint doch mehr als eine Notlösung zu sein. Immerhin haben Sie nach Bekanntwerden der so genannten Sponsoring-Affäre auf direkte Angriffe auf Ministerpräsident Jürgen Rüttgers verzichtet.
Nicht der ist am erfolgreichsten, der am Anfang am lautesten ‚Skandal’ schreit, sondern der, der beharrlich am Thema dranbleibt und für Aufklärung sorgt. Wir Grüne haben mit der SPD zusammen eine Ausschusssitzung im Landtag zu diesen Vorgängen durchgesetzt. Der Verdacht, dass Rüttgers die Briefe mit den Angeboten kannte, konnte von der Regierung nicht ausgeräumt werden. Deswegen werden wir das weiter verfolgen und haben entsprechende Fragen für das Plenum gestellt. Da wird die Affäre auf Antrag von Grünen und SPD auch diskutiert.
Ich halte die Verlotterung der Sitten, die sich unter der CDU und der FDP in Nordrhein-Westfalen breitgemacht hat, für eine Beschädigung der politischen Kultur. Dazu zählt die Verunglimpfung des Landesverfassungsgerichts durch den FDP-Innenminister Ingo Wolf; dazu zählt die Beschimpfung des Landesrechnungshofs durch den CDU-Finanzminister Helmut Linssen. Es ist atemberaubend, wie CDU und FDP in nur vier Jahren versuchen, sich das Land zur Beute zu machen.. Am 9. Mai haben die Menschen die Möglichkeit, auch darüber zu entscheiden, welche Partei für demokratische Kultur steht.
Hat sich Herr Rüttgers durch diese Beschädigung der politischen Kultur nicht als Koalitionspartner disqualifiziert?
Es geht um die Frage, ob die CDU das Amt des Ministerpräsidenten zu Markte trägt. Der neue Generalsekretär Andreas Krautscheid hat das verneint. Ich möchte aber erst wissen, wie die Briefe vor dem jetzt bekannt gewordenen Sponsoring-Schreiben aussahen. Schließlich gab es diese Praxis der CDU bereits seit 2004. Solange ich diese Dokumente nicht gesehen habe, bleibt der Verdacht bestehen. Und wenn sich herausstellt, dass Herr Rüttgers gelogen hat und von diesen Briefen wusste, muss er auch die Konsequenzen ziehen. Wenn er das nicht tut, werden die Wählerinnen und Wähler über ihn entscheiden. Das ist die Sprache, die auch Herr Rüttgers versteht.

"Wenn sich herausstellt, dass Herr Rüttgers gelogen hat und von diesen Briefen wusste, muss er auch die Konsequenzen ziehen."
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Rüttgers sollte also zurücktreten, wenn er gelogen hat. Noch einmal: Tut er das aber nicht, und wird er auch nicht von den Wählern für eine mögliche Lüge abgestraft – würden Sie trotzdem eine Koalition mit ihm eingehen?
Wenn Rüttgers gelogen hat, dann wird sich die Frage überhaupt nicht stellen. Dann ist er fällig. Abgesehen davon sind wir politische Profis. Wir machen mögliche Koalitionen nicht davon abhängig , ob uns das Gegenüber gefällt oder nicht. Mit Wolfgang Clement haben wir damals auch so unsere Erfahrungen gemacht. Wir wollen politische Ziele umsetzen, und dafür sieht es im Moment gut aus. Alle Umfragen der letzten Zeit zeigen: Schwarz-Gelb hat keine Mehrheit und ist auf dem absteigenden Ast.
Sie setzen im Wahlkampf auf "Grün pur" und wollen vor allem das Schulsystem ändern und weg von der Kohle- und Atomkraft: Ist das die rote Linie für einen möglichen Koalitionspartner?
Ja, und dabei ist mir Folgendes besonders wichtig. Der Einstieg in längeres, gemeinsames Lernen. Dass man Kinder im Alter von 9 oder 10 Jahren in vermeintliche Begabungsschubladen einsortiert, ist einfach überholt. Das stammt aus dem vorletzten Jahrhundert. Und Hamburgs CDU-Ministerpräsident Ole von Beust hat das mittlerweile auch erkannt. Der zweite für uns wichtige Punkt ist die Energiewende, die wir einleiten wollen, hin zu dezentrale Kraft-Wärme-Kopplung, besserer Wärmedämmung, Energieeinsparung und Erneuerbaren. Das fossile Zeitalter ist vorbei! Das ist mit der CDU genauso schwer umzusetzen wie mit der SPD, weil die Kohle-Lobby in NRW breit verankert ist und sich die beiden großen Parteien da sehr nahe sind. Die dritte für uns zentrale Frage, die uns wieder stärker mit der SPD verbindet, ist die, dass wir unsere Kommunen lebensfähig halten wollen, damit sie ein attraktives Angebot an die Menschen vor Ort vorhalten können. Deswegen darf es mit der Steuerpolitik zugunsten von Wenigen so nicht weiter gehen. Nur Reiche können sich arme Städte leisten. Es muss Schluss sein mit der sozialen Spaltung in unserem Land.
Wo sehen Sie denn derzeit die größten inhaltlichen Überschneidungen mit der CDU?
Auf Landesebene gibt es nur sehr wenige Gemeinsamkeiten. Die CDU möchte auch die Subventionierung der Steinkohle in Deutschland beenden. Zudem hat sich die Union in bestimmten gesellschaftlichen Fragen bewegt, so spricht Integrationsminister Armin Laschet selbstverständlich von Deutschland als Einwanderungsland. Da hat die Union ideologisch abgerüstet. Und unsere Kommunalpolitiker berichten uns, dass sich die CDU in den Kommunen, in denen wir mit ihr koalieren, sehr beweglich gezeigt hat und sich als verlässlicher Partner erweist.
Sie haben ein Jamaika-Bündnis explizit ausgeschlossen, eine Ampel-Koalition aber nicht. Wieso ist das eine möglich, das andere aber nicht?
CDU und FDP müssten für ein Dreierbündnis ihre Politik im Grundsatz ändern und sich auf uns zu bewegen. Die grüne Partei ist kein Steigbügelhalter für eine abgewählte Regierung. Deshalb haben wir diese Koalition ebenso ausgeschlossen wie auch die Tolerierung einer rot-grünen Minderheitsregierung durch die Linkspartei.
Für eine Ampel-Koalition müsste sich die FDP inhaltlich entkernen und politisch völlig neu aufstellen. Wir haben es in NRW mit dem marktradikalsten und reaktionärsten Flügel der FDP zu tun, den Erben Jürgen Möllemanns. Auch eine Ampel ist deswegen kaum vorstellbar. Dass ausgerechnet die FDP nun anfängt, von einer solchen Koalitionsmöglichkeit zu fabulieren, zeigt aus meiner Sich nur eins: Sie glauben selbst nicht mehr an eine Mehrheit für Schwarz-Gelb.
Für ein Jamaika-Bündnis macht Ihnen auch nicht das Saarland ein bisschen Hoffnung, wo die Koalition ganz harmonisch zu regieren scheint?
Das ist für uns nicht vergleichbar.
Welches Ergebnis erhoffen Sie sich denn für die Grünen bei der Wahl?
Wir kämpfen für ein zweistelliges Ergebnis, so wie wir es bei den Europa-, den Kommunalwahl- und den Bundestagswahlen auch geschafft haben. Und wir wollen unsere Position als dritte Kraft deutlich ausbauen.
Mit Sylvia Löhrman sprach Till Schwarze
Quelle: ntv.de