Gipfel abgesagt China brüskiert EU
26.11.2008, 17:53 UhrOhne Rücksicht auf diplomatische Höflichkeiten hat China den bevorstehenden Gipfel mit der Europäischen Union einfach platzen lassen. Wieder wollen die kommunistischen Führer in Peking ein Zeichen setzen und den Dalai Lama zur "Unperson" stempeln. Weil das religiöse Oberhaupt der Tibeter mehrere europäische Länder besuchen wird und am Rande im polnischen Danzig den EU-Ratspräsidenten, Frankreichs Präsident Nicolas Sarkozy, treffen wird, sagte China das Gipfeltreffen im französischen Lyon kurzerhand ab.
In Zeiten der globalen Finanzkrise, in der eine Abstimmung zwischen der Europäischen Union und der viertgrößten Volkswirtschaft der Erde mehr denn je zuvor nötig wäre, stellt China damit seine eigenen Interessen auf dem Dach der Welt bis auf weiteres über die Kooperation mit Europa. Dabei würden nicht nur die Europäer von einem gemeinsamen Vorgehen gegen die Weltwirtschaftskrise profitieren, sondern auch die 1,3 Milliarden Chinesen, die den wirtschaftlichen Abschwung weltweit immer schmerzhafter spüren und sich langsam von ihrem Wirtschaftswunder verabschieden müssen.
Sarkozy vermied Treffen mit Dalai Lama
Vollmundig hatte Chinas Regierungschef Wen Jiabao noch am Vortag in Peking die Bedeutung der "umfassenden und strategischen Beziehungen" zur EU hervorgehoben. Bei einem Treffen mit dem früheren EU-Kommissionspräsidenten Romano Prodi in Peking verkündete Wen Jiabao, es müsse "mit Weitsicht" gemeinsames Vertrauen und eine stabile Entwicklung der Beziehungen gefördert werden. "Wir wissen die mühsam erreichten Errungenschaften in den chinesisch-europäischen Beziehungen zu schätzen." Einen Tag später konnten sich EU-Diplomaten angesichts des chinesischen Muskelspiels nur noch die Augen reiben.
Die chinesische Absage zielt aber besonders auf Frankreich und Sarkozy, so dass die anderen europäischen Staaten praktisch in Sippenhaft genommen werden. Aus Rücksicht auf Peking war der französische Präsident zwar schon mehrmals zuvor Treffen mit dem Dalai Lama aus dem Weg gegangen oder hatte seine Frau Carla Bruni vorgeschickt, doch erscheint Sarkozy den Chinesen jetzt wieder rückfällig. So richtig hatten sie ihm ohnehin nie getraut.
Rückfall in antifranzösische Stimmung droht
Dabei ist ein eher geringer Anlass: Sarkozy und der Dalai Lama wollen gemeinsam am Geburtsort der polnischen Arbeiterbewegung "Solidarnosc" in Danzig an einer Zeremonie teilnehmen, die an die historische Verleihung des Friedensnobelpreises an den Arbeiterführer Lech Walesa vor 25 Jahren erinnern soll. Als EU-Ratspräsident ist eine Teilnahme Sarkozys nur angemessen. Und der Dalai Lama feiert praktisch "unter Kollegen" mit, da auch ihm 1989 der Friedensnobelpreis verliehen worden war.
Chinas Staatsmedien erwähnten die Absage des EU-China-Gipfels zunächst mit keinem Wort. Doch indem Frankreich wieder aufs Korn genommen wird, droht ein Rückfall in die aufgeheizte antifranzösische Stimmung im Frühjahr. Damals hatten antichinesische Proteste gegen die Niederschlagung des Aufstandes der Tibeter am Rande des olympischen Fackellaufes in Paris viele Chinesen aufgebracht. Die offiziell angefachte Empörung führte zu einem Boykott französischer Waren und Unternehmen wie der Einzelhandelskette Carrefour in China, obwohl diese 40.000 Chinesen einen Arbeitsplatz gibt und zum Wohle der heimischen Wirtschaft vor allem chinesische Produkte verkauft.
Andreas Landwehr, dpa
Quelle: ntv.de