Dossier

Referendum in Venezuela Chvez will sein Amt stärken

Kurz vor dem Referendum über eine sozialistische Verfassungsreform am 2. Dezember wachsen in Venezuela die Spannung und die Zukunftssorge stündlich. Erstmals seit der Machtübernahme des Linksnationalisten Hugo Chvez im Jahr 1999 steht nämlich nach Einschätzung der Meinungsforschungsinstitute ein knapper Ausgang eines Urnengangs bevor. "Das Referendum kann zu einem großen Pulverfass werden und das Land unregierbar machen", glaubt Ricardo Combellas, Politikwissenschaftler der Universidad Central (UCV).

Beobachter meinen, dass für Chvez eine Niederlage sogar besser wäre als ein knapper und deshalb eventuell auch anfechtbarer Sieg. Die Opposition schließt Gewalt nicht aus. "Wir können nicht sagen, dass wir nicht zu den Waffen greifen werden", warnte der frühere Chvez-Verbündete und Reserve-Oberstleutnant Joel Chirinos, Chef der Bewegung "Nationale Beteiligung", in einem am Donnerstag von der brasilianischen Zeitung "O Globo" veröffentlichten Interview.

Verbündete werden zu Kritikern

Bisher konnte Chvez alle Wahlen und Volksbefragungen klar und nach Meinung internationaler Beobachter auch sauber gewinnen. Dieses Mal aber konnte der Präsident, der zudem heftige diplomatische Probleme mit Kolumbiens konservativem Staatschef Alvaro Uribe hat, offenbar nicht alle seine Anhänger von der Notwendigkeit einer so tiefgreifenden Reform überzeugen, die unter anderem die mehrfache Wiederwahl des Präsidenten sowie die Verankerung des Sozialismus vorsieht. Während einige Anhänger des Präsidenten nur hinter vorgehaltener Hand ihre Zweifel äußern, treten fast täglich bisherige Verbündete und Freunde von Chvez kritisch an die Öffentlichkeit.

Viel Aufsehen erregte vor allem Raul Baduel, bis Juli noch Verteidigungsminister und im April 2002 der entscheidende Mann für das Scheitern des Putsches einer militärisch-zivilen Gruppierung gegen Chvez. Der Reformentwurf sei antidemokratisch und stelle einen Staatsstreich dar, so Baduel. Er betonte zwar, das venezolanische Wahlsystem sei wirklich fair und geheim, aber die Regierung übe schon Druck auf die Wähler aus, vor allem auf Staatsbedienstete und Geschäftspartner. Chvez beschimpfte daraufhin seinen persönlichen Freund als "Verräter".

Auf die Barrikaden gegen die Reform gingen neben Baduel und dem Chvez-nahen angesehenen Professor Combellas auch enge Berater, Freunde und sogar Verwandte von Chvez. Ex-Ehefrau Marisabel nahm vergangene Woche erstmals Stellung gegen den Vater ihrer 10-jährigen Tochter: "Da wird eine Verfassung zerstört, die aus einer legitimen Diskussion hervorgegangen ist. Von dieser Reform profitiert nur der Präsident." Combellas meint, so tiefgreifende Reformen könnten nur von einer verfassunggebenden Versammlung beschlossen werden.

Wahlausgang offen

Meinungsforschungsinstitute sprachen von einem völlig offenen Rennen. Selbst Chvez räumte die Möglichkeit einer Niederlage ein. "In dem Fall muss ich für 2012 einen Nachfolger suchen", meinte der sonst stets optimistische frühere Oberstleutnant in Anspielung auf eine mögliche Schlappe. In Venezuela kann ein Präsident bisher nur ein Mal wiedergewählt werden. Demnach regiert Chvez noch bis 2012.

Vor dem Hintergrund immer schwächerer Oppositionsparteien wurde die Kampagne gegen die Regierung vor allem von Studenten, Medien und der Kirche angeführt. Bei mehreren Protestkundgebungen kam es im November zu schweren Ausschreitungen, bei denen die Polizei mit Gewalt gegen die Studenten vorging. Oppositionelle Studenten klagten dieser Tage, sie seien bei der Verteilung von Flugblättern nicht nur von Uniformierten misshandelt worden. Es gab nach Informationen der Oppositionsmedien auch Entführungen und Folterungen von Oppositionellen durch maskierte und schwarz gekleidete Unbekannte.

"Die wollen einen Terror- und Horror-Staat gründen", schimpft Studentenführer Fabricio Briceno. An den Universitäten gibt es aber auch zahlreiche treue Anhänger von Chvez. "Wir haben auch die Bauern, die Arbeiter auf unserer Seite. Aber das wird natürlich von den von der Oligarchie beherrschten Medien verschwiegen", meint Rechtsstudent Hector Rodrguez. Eine gemäßigte Haltung nehmen im fünftgrößten Ölexporteur der Welt die Wenigsten ein. "Ich befürchte eine Radikalisierung, Straßenkämpfe nach einem knappen Ergebnis beim Referendum. Unsere Gesellschaft ist total polarisiert, und das ist das Traurigste, weil das die historische Wunde der Ungleichheit offenlegt", klagt der Verfassungsanwalt Jos Vicente Lpez.

Von Emilio Rappold, dpa

Quelle: ntv.de

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