Dossier

Merkel modernisiert die CDU Das Ende der Konservativen

Merkels CDU will die Wahlen in der Mitte der Gesellschaft gewinnen.

Merkels CDU will die Wahlen in der Mitte der Gesellschaft gewinnen.

(Foto: dpa)

Früher war alles besser. Mit Blick auf den Einfluss der Konservativen auf die Union stimmt dieser Stoßseufzer. Seit dem Ende des Kommunismus spielen bekennende Konservative in der CDU eine immer geringere Rolle. Im Kalten Krieg waren die Konservativen die Vorhut des Antikommunismus, der noch bis weit in die 90er Jahre das zentrale Bindemittel der Unionsparteien war. Der Verlust des gemeinsamen Gegners führte zu einem Bedeutungsverlust, von dem die christdemokratischen Konservativen sich bis heute nicht erholt haben.

Merkel und Mißfelder: Der Konservative applaudiert der Kanzlerin.

Merkel und Mißfelder: Der Konservative applaudiert der Kanzlerin.

(Foto: picture-alliance/ dpa)

Wer ist überhaupt noch konservativ in der Union? Der einflussreichste Konservative ist heute wahrscheinlich Philipp Mißfelder, Chef der Jungen Union, Bundestagsabgeordneter und Mitglied des CDU-Präsidiums. Das sind respektable Ämter für einen 30-Jährigen. Zum Kopf der Konservativen in der Union reicht es aber nicht.

Denn die klassischen Konservativen in der Union haben ihre beste Zeit hinter sich, die meisten kommen aus der bayerischen Schwesterpartei. So sind in der Bundestagsfraktion die CSU-Politiker Norbert Geis und Peter Gauweiler immer wieder für eine Provokation gut. Doch wer regt sich noch darüber auf, wenn Geis über die Homo-Ehe schimpft? Seit Alfred Dregger, bis 1991 Unionsfraktionschef, gibt es kein konservatives Aushängeschild mehr in der CDU. Auch Manfred Kanther, von 1993 bis 1998 Bundesinnenminister, konnte diese Rolle nicht ausfüllen.

Was ist mit dem hessischen Ministerpräsidenten Roland Koch, Finanzminister Wolfgang Schäuble oder Unionsfraktionschef Volker Kauder? Sie alle gelten als konservativ, doch keiner von ihnen will sich auf dieses Etikett reduzieren lassen. Koch, der nicht zufällig wie Dregger und Kanther aus dem hessischen Landesverband der CDU kommt, nennt sich einen "konservativen Reformer".

Konservativ? "Ich weiß es nicht"

Wolfgang Schäuble betont das "Element der Mitte".

Wolfgang Schäuble betont das "Element der Mitte".

(Foto: picture alliance / dpa)

Auf die Frage, ob er ein Konservativer sei, antwortete Schäuble schon vor zehn Jahren: "Ich weiß es nicht". Wichtiger sei ihm "das Element der Mitte". Kauder schließlich betont immer wieder gern, dass die Union "keine konservative Partei" sei. Selbst CSU-Mann Peter Ramsauer sagt: "Ich bin ein Konservativer, aber auch ein Liberaler." Analog zu den "Regierungslinken" bei den Grünen könnte man von Regierungskonservativen sprechen - Politiker, die auf dem Weg ins hohe Amt allzu radikale Positionen abgeschliffen haben.

Konservatismus pur ist aus der Mode gekommen. Dabei waren die Konservativen in der CDU schon immer sehr vielfältig und, wie es sich für eine christliche Partei gehört, konfessionell getrennt. Traditionell gibt es einen katholisch-konservativen Flügel und die Protestantisch-Konservativen in der Union, erläutert der Historiker Frank Bösch, dessen Spezialgebiet die CDU und das katholische Milieu sind. Während für die katholischen Konservativen vor allem die Familienpolitik im Zentrum steht, war der protestantisch-konservative Flügel "stärker darauf bedacht, bei einer gewissen sozialen Sicherung eher liberale, unternehmerfreundliche Akzente zu setzen".

Leitkultur auf hinterem Rang

Das Beispiel Friedrich Merz zeigt, wie unscharf diese Label heute sind. Merz ist ein klassischer Wirtschaftsliberaler, für Bösch verkörpert er geradezu den liberalen Flügel der CDU. Zugleich war es Merz, der den Begriff der "deutschen Leitkultur" vor zehn Jahren in die politische Debatte einführte. Damit hatte er sich das Etikett verdient, Vertreter des "wirtschaftskonservativen Flügels" zu sein. Er selbst hätte sich nie als Konservativen bezeichnet.

Apropos Leitkultur: Vor wenigen Tagen feierte diese Formel ein bescheidenes Comeback: "Wir wollen einen Staat, der sich um die gesellschaftliche Integration auf den Fundamenten der europäisch geprägten deutschen Leitkultur kümmert", schrieben drei CDU-Fraktionschefs und eine Vizechefin am 10. Januar in einem Gastbeitrag in der "Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung". Sie wollen "mehr Profil wagen", sie fordern - pünktlich zur Klausurtagung der CDU-Spitze - eine Kanzlerin, die weniger zaudert und mehr entscheidet. Und sie fordern eine konservative Erneuerung.

In der Reihenfolge ihrer Ziele muss die "Leitkultur" sich allerdings mit einem hinteren Rang begnügen: Die Liste startet mit haushalts- und wirtschaftspolitischen Forderungen, die so auch von der FDP zu hören sind: Ausgabenreduzierung, Steuersenkungen, Hilfe zur Selbsthilfe statt Sozialleistungen.

Wirtschaftsliberale mit Werten

Namensgeber des Einstein-Kreises: Das Berliner Café Einstein.

Namensgeber des Einstein-Kreises: Das Berliner Café Einstein.

(Foto: REUTERS)

Es gibt einen Unterschied zur FDP: Der CDU-Konservatismus von heute ist ein Wirtschaftsliberalismus mit Werten. Dafür stehen Philipp Mißfelder und sein "Einstein-Kreis". Dessen Papier "Moderner bürgerlicher Konservatismus" sorgte im September 2007 für gewisses Aufsehen. Die vier Autoren trafen sich in einem Berliner Café - daher der Name. Einer aus der Runde, Stefan Mappus, soll in Kürze baden-württembergischer Ministerpräsident werden, die anderen drei sind neben Mißfelder der nordrhein-westfälische CDU-Generalsekretär Hendrik Wüst und Markus Söder, heute Umweltminister in Bayern und immer wieder im Gespräch, wenn die CSU Posten zu vergeben hat.

Eine Definition des Konservativen sucht man auf den 17 Seiten des Einstein-Manifestes vergeblich. Mißfelder, Mappus, Söder und Wüst sprechen von "Tugenden wie Ehrlichkeit, Verlässlichkeit, Fairness, Fleiß, Disziplin, Treue, Respekt und Anstand", von hart arbeitenden Menschen, die ihr Leben lang früh aufstehen. Den Unterschied zwischen "Bürgerlich-Konservativen" und Linken definieren sie so: "Wir haben Leitbilder und Überzeugungen, sind aber pragmatisch statt doktrinär."

Der "letzte Konservative" in der CDU

Jörg Schönbohm war von 1999 bis 2009 Innenminister in Brandenburg.

Jörg Schönbohm war von 1999 bis 2009 Innenminister in Brandenburg.

(Foto: picture-alliance/ ZB)

Ausgerechnet ein Mann der Praxis liefert eine funktionierende Definition des Konservatismus: "Die Grundlage des Denkens des Konservativen ist das christliche Menschenbild, mit der Einmaligkeit, aber auch mit der Eigenverantwortlichkeit des Menschen", sagt der langjährige Ehrenvorsitzende der brandenburgischen CDU, Jörg Schönbohm. Der Satz hat den Vorzug, dass er den katholischen und den protestantischen Ansatz vereinigt. Er hätte, wenn man den "Konservativen" durch "CDU" ersetzen würde, das Zeug zum Leitbild der Union. Doch Schönbohm, von der "Welt" zum letzten Konservativen in der CDU ausgerufen, genießt nicht den Ruf, ein Übermaß an integrativer Strahlkraft zu besitzen. Der Historiker Frank Bösch formuliert es so: Schönbohm "konnte in Brandenburg nicht unbedingt reüssieren".

Das scheint überhaupt ein Problem vieler Konservativer zu sein. "In der CDU von heute können Konservative sich selten dauerhaft durchsetzen", meint Bösch. Nicht einmal einen eigenen Arbeitskreis haben Konservative in der Union. Während die Wirtschaftsliberalen sich in der Mittelstandsvereinigung zusammengefunden haben und die Christlich-Sozialen in der Christlich-Demokratischen Arbeitnehmerschaft, gibt es für die Konservativen keine innerparteiliche Lobby. Ein paar Katholiken wollen das ändern, doch stoßen sie bei der Parteiführung nicht gerade auf Begeisterung.

Dass es die Initiative für einen "Arbeitskreis engagierter Katholiken in der Union" (AEK) überhaupt gibt, sagt einiges aus über die Rolle der bekennenden Konservativen in der Partei. Allerdings sind es die Konservativen von gestern, die sich hier verbinden wollen - jene, denen gern die Silbe "erz-" vorangestellt wird: erzkatholisch, erzkonservativ. Der Katholik Philipp Mißfelder hat mit dem AEK nichts zu tun.

Zurück zu den Wurzeln

Jeder CDU-Politiker oberhalb der kommunalen Ebene kann die Wurzeln der Partei im Schlaf herunterbeten. "Moderne bürgerliche Politik", heißt es in der "Berliner Erklärung", speise sich aus "christlich-sozialem, liberalem und konservativem Denken". In Reinkultur funktionieren diese Wurzeln der Union nur selten. Wer Einfluss haben will in der CDU von heute, sollte darauf achten, nicht für die reine katholische Soziallehre zu stehen und nicht für bedingungslosen Wirtschaftsliberalismus. Ein Nur-Konservativer hat schnell den Ruf, skurril zu sein.

Das Verhältnis der CDU-Grundströmungen wird immer wieder neu verhandelt. Der christlich-soziale Zweig war in der Zeit der rot-grünen Regierung ziemlich bedeutungslos. Das änderte sich nach der Wahl von Angela Merkel zur Kanzlerin. Nun verloren die Wirtschaftsliberalen an Einfluss - sichtbar wurde das mit dem Abgang von Friedrich Merz. Die Partei wurde auf einen Kurs der "Mitte" verpflichtet. Denn Wahlen, das hat Merkel von ihren Vorgängern gelernt, werden in der Mitte gewonnen. "Die Parteimitglieder der Union", bestätigt Bösch, "sind zweifellos konservativer als ihre Wähler."

Mal so, mal so

"Ich bin mal liberal, mal christlich-sozial, mal konservativ", sagte Merkel vor einem Jahr. Ob dieser Satz als Beschreibung der Bundesvorsitzenden der CDU zutreffend ist, darf bezweifelt werden - stärker als konservativ, christlich-sozial oder liberal ist Merkel die Verkörperung eines nüchternen und machtbewussten Politikstils, den man je nach Belieben prinzipienlos oder pragmatisch nennen kann. Doch als Beschreibung der CDU stimmt Merkels Satz.

Diese breite, vielschichtige Verankerung gibt der CDU die Möglichkeit, flexibel auf politische Herausforderungen zu reagieren, ohne die eigenen Wurzeln kappen zu müssen. Die Zeiten, in denen die Union auf "40 Prozent plus x" hoffen konnte, sind vorbei. Noch ist unklar, ob die nächsten Wahlen zwischen dem "bürgerlichen" Lager und Rot-Rot-Grün entschieden werden. Die CDU tut daher gut daran, ihre Anschlussfähigkeit an SPD und Grüne nicht zu verlieren. Und die zweite Seite des Kurses der Mitte: Merkel will sich weniger um konservative Stammwähler bemühen, sondern stärker versuchen, Wähler der anderen Parteien abzuwerben. Beides ist erfolgversprechender als ein konservativer Kurs.

Stefan Mappus (l.) hat Günther Oettinger als Landesparteichef bereits abgelöst. Ende Januar soll er ihm auch als Ministerpräsident von Baden-Württemberg folgen.

Stefan Mappus (l.) hat Günther Oettinger als Landesparteichef bereits abgelöst. Ende Januar soll er ihm auch als Ministerpräsident von Baden-Württemberg folgen.

(Foto: picture-alliance/ dpa)

Verständlich ist der Unmut der Konservativen in der Union allemal. Inhaltlich speist er sich aus dem Gefühl, dass die klassischen konservativen Werte auf dem Rückzug sind. Auch strategisch hat der Unmut seinen Sinn: Die Basis der Partei fühlt konservativ. Wer die Seele der Partei streicheln will, spricht über den EU-Beitritt der Türkei, über Moscheen in Deutschland oder den Wert der Familie. Auf Parteitagen ist der Applaus damit gesichert. So kann das konservative Ticket auch ein Fahrschein für den Weg nach oben sein. Solche Überlegungen spielen eine nicht zu unterschätzende Rolle, wenn konservative Kritiker der Kanzlerin sich medienwirksam zu Wort melden - um dann regelmäßig in langes Schweigen zu verfallen. Sinnvoll ist schließlich sogar dieses Schweigen: Es schult für später.

Stefan Mappus übt bereits. In der aktuellen Debatte fordert er zwar ein "schärferes Profil" der Union, lehnt die Kritik an Merkel aber ab. Auf dem Parteitag der baden-württembergischen CDU, der ihn zum Landeschef der Partei wählte, sagte der einstige Einstein-Konservative, er wolle eine "Politik aus der Mitte" machen "für ganz normale Bürger". Mappus ist angekommen.

Quelle: ntv.de

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