Einstand mit Krieg Das Team Medwedew und Putin
14.08.2008, 13:48 UhrEs mag Zufall sein, dass die ersten 100 Tage russischer Präsidenten im Amt stets im August eine blutige Krise mit sich bringen. Kremlchef Dmitri Medwedew jedenfalls ereilte mit dem Krieg im Südkaukasus ein ähnliches Schicksal wie seine Vorgänger. Der erste russische Präsident Boris Jelzin ging bei einem Putsch im August 1991 letztlich als Sieger hervor. Wladimir Putin, Medwedews politischer Ziehvater, führte sein Land durch den Tschetschenienkrieg und musste im August 2000 beim Untergang des Militär-U-Boots Kursk viel Kritik hinnehmen.
Wenn Medwedew am 15. August genau 100 Tage nach seiner Amtseinführung in der künftigen Olympiastadt Sotschi (2014) mit Bundeskanzlerin Angela Merkel am Schwarzen Meer zusammentrifft, wird seine Zwischenbilanz von einem Blutvergießen überschattet. In seiner bisher schwersten politischen Krise hat der erst 42-Jährige vor allem eins gezeigt: Er spielt mit seinem Regierungschef Putin in einem Team. Im Westen aber hat das Bild vom "liberalen und effizienten" Politiker laut Kommentatoren nun erste Kratzer erhalten. Die USA stellen wegen des Krieges die G8-Mitgliedschaft Russlands ebenso infrage wie auch die seit langem geplante Mitgliedschaft in der Welthandelsorganisation (WTO).
Ist Medwedew Her der Lage?
Viele fragten sich in den Kriegstagen mit Georgien, ob Medwedew Herr der Lage sei oder doch von Putin gelenkt werde. Klar wurde, dass es für eine Trennung vom Erbe des Ex-KGB-Offiziers Putin noch zu früh ist. Der 55-jährige Putin ist der mächtigste Regierungschef, den Russland je hatte. Auch deshalb mehren sich in Russland Zweifel, ob Medwedew gegen den "nationalen Führer" Putin bestehen kann. Laut jüngsten Umfragen gleitet dem Neuen im Kreml die Macht aus den Händen, obwohl ihn die Verfassung mit fast unbegrenzten Befugnissen ausstattet.
Eine repräsentative Studie des Moskauer Lewada-Zentrums ergab, dass nach Medwedews Amtsantritt im Mai 17 Prozent der Befragten das Zepter der Macht in den Händen des neuen Kremlchefs sahen, im Juli waren es nur noch 9 Prozent. Putin als Regierungschef legte hingegen im selben Zeitraum um 4 auf 36 Prozent zu. Mehr als 40 Prozent der Russen glauben allerdings, dass die Macht zwischen dem Kreml und dem Regierungssitz an der Moskwa gleich verteilt ist.
Putin beherrschte das Geschehen
In den Nachrichten des Staatsfernsehens ist Medwedew zwar die Ersterwähnung sicher. Putin aber beherrschte am ersten Tag des Krieges am vergangenen Freitag von den Olympischen Spielen in Peking aus das Geschehen, als Medwedew noch seine Rolle finden musste. Putin mischt sich nach Meinung von Experten stärker denn je in außenpolitische Fragen ein, obwohl dies eigentlich dem Präsidenten vorbehalten ist.
"Wenn Medwedew ein Machtwort sprechen würde, Putin in die Schranken wiese, wäre das eine echte Sensation", sagt die russische Expertin Maria Lipman vom Moskauer Carnegie-Zentrum in einem Gespräch mit der Deutschen Presse-Agentur dpa. Putin habe in seiner achtjährigen Präsidentschaft Machtstrukturen geschaffen, die schwer zu durchbrechen seien.
Dabei hatten Medwedews Äußerungen wie etwa "Freiheit ist besser als keine Freiheit" und sein erklärter Kampf gegen Korruption und für Justizreformen bei manchen Hoffnungen auf einen Wandel ausgelöst. Immerhin habe Medwedew damit begonnen, die alten Sowjetbürokraten durch junge und im Westen ausgebildete Kader zu ersetzen, stellte die Moskauer Politologin Olga Kryschtanowskaja anerkennend fest. "Das ist die Abkehr von einer gewissen Ideologie des Kalten Kriegs", sagte sie.
Fast nur Grußreden
Kritisch merkte die russischsprachige Zeitschrift "The New Times" an, Jelzin und Putin hätten in ihren ersten 100 Tagen deutlich mehr Dekrete unterzeichnet, während Medwedew bis zum Krieg fast nur durch Grußreden für die international erfolgreichen Sportler und siegreichen Sänger des Landes oder durch "Schweigen" glänzen durfte. Echte eigenständige Schritte Medwedews oder eine "Demokratisierung des Landes" seien nicht in Sicht. "Er hat seinen Plan noch nicht enthüllt", meinte das Blatt. Auch in Menschenrechtsfragen hat es Medwedew bisher an Initiativen fehlen lassen.
Kremlnahe Experten wie Igor Jurgens vom Institut für moderne Entwicklung sind überzeugt, dass Putin und Medwedew das Land weiter in "strategischer Einheit" führen werden. "Alles andere wäre eine Katastrophe", sagte er im Radiosender Echo Moskwy. Ursprünglich hatte Medwedew mit Blick auf die andauernden Sommerferien versprochen, im Herbst voll durchzustarten. Doch nach der Waffenruhe im Südkaukasus wird er nun mit den Kriegsfolgen fertig werden müssen - unter anderem mit zehntausenden Flüchtlingen im eigenen Land.
Ulf Mauder, dpa
Quelle: ntv.de