Dossier

US-Wahlnotizen V Das Tempo lässt nach

Nach siebzehn Monaten bietet sich für die Berichterstatter in Washington erstmals etwas Abwechslung. Zumindest in der deutschen Community wird das Dauerbrennerthema US-Wahlkampf zur Zeit überlagert von der Fußball-EM. Selbst der hochseriöse und -politische German Marshall Fund lädt ein zu einer Podiumsdiskussion mit dem Titel: "Die Europäer sind vom Mars, die Amerikaner von der Venus - Rollenvergleich des Fußballs in den USA und Europa." Kurzweilig plaudern der Präsident des lokalen Profiteams DC United, Kevin Payne, mit dem Deutschen Botschafter Klaus Scharioth und dem Ex-Aktiven Heiko Hesse (Borussia Dortmund II) über die Feinheiten des Fußballs hüben wie drüben. Tenor: In Deutschland ist der Fußball weitaus tiefer in der Gesellschaft verankert; in den USA aber wird aufgeholt - nicht zuletzt aufgrund der zahlreichen Einwanderer aus Lateinamerika. Ein insgesamt unterhaltsamer Meinungsaustausch, der leider nur unterboten wird durch die anschließende Direktübertragung der Partie Kroatien - Deutschland

Der Wahlkampf geht unterdessen natürlich weiter. Doch das Tempo hat deutlich nachgelassen. Das hat weniger mit der EM zu tun, deren Existenz den meisten Amerikanern ohnehin strikt verborgen bleibt, als vielmehr mit dem nachlassenden Schwung und Interesse. Das Drama der Demokraten muss medial erst noch verdaut werden. Der tägliche Obama-Report und die neueste McCain-Zusammenfassung kommen etwas pflichtschuldig daher.

Clinton muss versöhnen

Dafür bietet sich Gelegenheit, einen Rückblick zu werfen auf das Gemetzel der letzten Tage und Wochen - und besonders auf das Finale. Obama ist am Ende, wie es ein Kommentator formulierte, nur über die Ziellinie gekrochen. Bis zum Schluss hielt Hillary dagegen. Sie gewann die letzten acht der 14 Vorwahlen und holte insgesamt 18 Millionen Stimmen, etwa genauso viele wie ihr siegreicher Kontrahent. Nebenbei zeigte sie dessen Schwächen gnadenlos auf: Unter Frauen, Alten, Arbeitern, Weißen und Latinos hat Obama Schwierigkeiten zu punkten. Fast alle der letztlich entscheidenden Swing-States holte Hillary: u.a. Ohio, Pennsylvania, Indiana, Florida.

Das Schicksal hat es offenbar nicht anders gewollt: Ausgerechnet Hillary, die sich nicht wegschreiben und -kommentieren ließ und bis zuletzt um den Spitzenplatz gekämpft hatte, bleibt es nun vorbehalten, die Partei zu versöhnen. Nur sie kann ihre Unterstützer - vielleicht - auch auf Obama einstimmen. Oder es bleiben lassen. Umfragen zeigen, dass diese Einheit nicht einfach proklamiert werden kann. Rund ein Fünftel der Clinton-Wähler würde im Herbst Obama die Gefolgschaft verweigern und lieber für McCain stimmen. Dennoch schneidet Obama im Direktvergleich mit McCain derzeit besser ab: Nationale Erhebungen sehen ihn knapp aber verlässlich vorn. Darauf allerdings mag sich bei den Demokraten niemand verlassen. Ein paar Prozentpunkte werden allein wegen Obamas Hautfarbe von vorneherein abgeschrieben: Schließlich mag sich den Umfrageinstituten gegenüber niemand als Rassist outen, aber am Ende wird der Weiße gewählt.

Jungspund mit Mission

Wie auch immer die Präsidentschaftswahlen ausgehen werden: Die USA haben in jedem Fall Geschichte geschrieben. Der erste schwarze Politiker, exakt 40 Jahre nach dem Attentat auf Martin Luther King, geht als offizieller Präsidentschaftskandidat der Demokraten ins Rennen um das Weiße Haus. Dieser Kandidat verspricht den Wechsel, die Hoffnung. All das altbekannte Wahlkampfphrasen, getragen von wenig Substanz, die jedoch in diesem Jahr den Nerv der Zeit voll treffen. Nach all den Bush-und-Clinton-Jahren, nach all den bitteren Wahlkämpfen und angesichts eines politisch zweigeteilten Landes tritt Obama an und verkündet, Amerika wieder zusammenzubringen.

Und dieser Mann, 46 Jahre jung, verkörpert diesen Wandel wie kein zweiter. Er steht für den amerikanischen Traum: Der Vater stammt aus Kenia, die Mutter aus Kansas, aufgewachsen ist er ohne seinen Vater, mal bei der Mutter in Indonesien, dann bei den Großeltern auf Hawaii. Später geht er nach Columbia, nach Harvard und beginnt, nach Jahren als Sozialarbeiter, im Senat von Illinois seine politische Karriere. Erstmals ins öffentliche Bewusstsein gelangt er auf dem Parteitag der Demokraten in Boston 2004: Er spricht als damaliger Nachwuchsstar über sein Leben - und von einem geeinigten Amerika. Dieser Jungspund, der als Anwalt in New York leicht und locker Millionen hätte verdienen können, verschreibt sich offensichtlich einer Mission, seiner Mission, die ihn letztlich bis ins Weiße Haus tragen könnte. Die Kandidatur Obamas ist ohne die Story seines Lebens völlig undenkbar.

Kein Liberalen-Schreck

Denkbar ist nun alles. Auch ein schwarzer Präsident. Und grundsätzlich scheint das Wahljahr 2008 wie gemacht zu sein für die Demokraten. Alle Anzeichen sprechen für sie: Die US-Wirtschaft balanciert am Rande einer Rezession, der Immobilienmarkt kollabiert, die Preise an den Tankstellen erreichen Rekordniveau. Und nach fünf Jahren wird der Problemfall Irakkrieg ungelöst an den neuen Präsidenten übergeben. Der, der diesen Krieg zu verantworten hat, geht in den Ruhestand und schafft es sogar, die miesen Zustimmungswerte Richard Nixons während des Watergate-Skandals noch zu unterbieten. Dreiviertel der Amerikaner lehnen Bush inzwischen ab. Offen wird den Parteikollegen empfohlen, sich rechtzeitig vom Präsidenten abzusetzen. Tom Davis, ein Abgeordneter aus North Dakota, nennt Bush "absolut radioaktiv."

Dennoch ist gerade das Wahldrama der Demokraten für die Gegenpartei Anlass zur Hoffnung. John McCain jedenfalls hatte alle Zeit, sich als Staatsmann in Szene zu setzen. Er reiste durch Europa und den Nahen Osten, besetzte wichtige Themen, präsentierte sich mit Regierungschefs und Staatsoberhäuptern. Dieser Gegner passt den demokratischen Wahlstrategen nur bedingt: Lässt er sich doch nicht so einfach in ein Feindschema pressen. McCain fällt auf durch eigenständige Meinungen und überparteiliche Gestaltungsversuche. Mit seiner liberalen Haltung zur Einwanderung, zum Klimawandel und zu Guantanamo wildert er in den Wählerreservoirs der Mitte. Anders als Bush gilt er nicht als Liberalen-Schreck - und damit als unangenehmer Gegenkandidat. Einzig McCains Haltung zum Krieg im Irak bietet den Demokraten Angriffsfläche: Er hat diesen unpopulären Waffengang von Anfang an unterstützt und versprochen, ihn notfalls noch "100 Jahre" führen zu wollen, "bis er gewonnen ist." Die Mehrheit der Wähler hält diesen Krieg schon lange für verloren und verlangt nach einer quicken Exit-Strategie.

"Grassroots-Kampagne" als Gebot der Stunde

Bleibt die Frage, wie Clinton überhaupt scheitern, wie es zum diesem Showdown bei den Demokraten kommen konnte? Noch im Herbst 2007 lag Hillary in landesweiten Umfragen mit satten 30 Prozentpunkten vor Obama. Sie hatte das Parteiestablishment auf ihrer Seite, die finanzkräftigen Unterstützer, die prominenten Politprofis, kurz: den kompletten Clinton-Clan. Spätestens für den Super Tuesday Anfang Februar war eine Art Krönungsmesse geplant: Ein überragender Sieg der unvermeidlichen Kandidatin. Doch diese Strategie der Unvermeidlichkeit begann schon in Iowa zu bröckeln. Hinter Obama und John Edwards landete Clinton nur auf einem schmachvollen dritten Platz. Der Anfang vom Ende. Ihre Kampagne war auf einen langen Wahlkampf weder personell, noch logistisch oder finanziell vorbereitet. Obama fuhr in den vermeintlich unbedeutenden Staaten hohe Siege ein - und konnte damit knappe Niederlagen wie in Kalifornien und New York mehr als kompensieren. Vor allem seine "Grass-roots-Kampagne" erwies sich als das Gebot der Stunde: Viele kleine und Kleinst-Spender hielten die Obama-Maschinerie finanziell am Laufen, während Clintons vergleichsweise wenige Großspender ihr 2000-Dollar-Limit schnell erreicht hatten - und sie über elf Millionen Dollar aus eigenen Mitteln beisteuern musste.

Dieses Geld ist, im Nachhinein betrachtet, riskant angelegt gewesen. Hillary Clinton stemmte sich vergebens gegen den Zeitgeist: Gegen die vergleichsweise simple "Change"-Botschaft Obamas fand Clinton keine Gegenstrategie. Mal spielten sie und ihr Ehemann Bill subtil die Rassismus-Karte, dann wiederum sprachen sie Obama jedwede Erfahrung ab. Dabei war von Anfang an völlig klar: Die laut Parteistatut ungebundenen Superdelegierten mussten am Ende den Kandidaten unterstützen, der nach den Vorwahlen vorne liegt. Andernfalls riskierten sie eine Spaltung der Partei. Und vorne lag Obama.

Deutschland, das Obama-Land


Immerhin hat der innerparteiliche Wahlmarathon zumindest einen ungeplanten Nebeneffekt: Obama, ursprünglich als softer Obambi verspottet, hat im Laufe der Zeit an Statur gewonnen. Ein paar hundert Wahlveranstaltungen, über 20 TV-Debatten, unzählige Interviews und auch zahlreiche Niederlagen später: Der Obama des Sommers 2008 ist spürbar gereift, praxisnah vorbereitet für den Präsidentschaftswahlkampf gegen die Republikaner. Immerhin haben die Amerikaner nun eine echte Wahl. Hier der 71jährige Vietnamkriesgveteran, der den Krieg im Irak bis zum Sieg fortsetzen möchte, dort der 46jährige Harvard-Absolvent, der versprochen hat, die Truppen baldmöglichst nach Hause zu holen. McCain gegen Obama: Dieses Duell verspricht Hochspannung bis zum Schluss.

In Deutschland steht der Sieger schon fest. "Deutschland ist Obama-Land", jubelt Karsten Voigt, Koordinator der Bundesregierung für die deutsch-amerikanische Zusammenarbeit, der seine Obama-Sympathien offen zur Schau stellt. Damit verhält er sich zwar wenig diplomatisch, aber durchaus populistisch. Die meisten Deutschen halten den Senator aus Illinois nach acht Jahren Bush für den logischen Sieger des Wahljahres 2008. So wie sie im Jahre 2004 mit einem Präsidenten John Kerry kalkulierten und im Jahre 2000 mit Al Gore. Allerdings scherten sich die US-Wähler wenig darum. Die Folge: Die Enttäuschung war umso größer. Schnell schlug diese um in Antipathie, Desinteresse, Ablehnung. Regelmäßige Umfragen zeigen: Die transatlantischen Beziehungen bedürfen dringend einer Korrektur. Und in dieser Hinsicht hat der urdemokratische Prozess des Vorwahlkampfes schon Wirkung gezeigt - und das Bild Amerikas in Europa positiv verändert. Altbundeskanzler Helmut Schmidt schrieb dazu: "Zwar ist das Vertrauen in die amerikanische Führung heute gestört. Aber wir wollen die atlantische Gemeinsamkeit aufrechterhalten. Wir möchten Amerika wieder lieben können. Wir sind aber skeptisch, weil Washington uns seit 10 Jahren immer dann gefragt hat, wenn es um Hilfstruppen und Finanzen ging." Die Hilfstruppen und Finanzen werden weiterhin begehrt bleiben, aber vorgetragen von Obama oder McCain lassen sich die Wünsche Amerikas sicherlich nicht so leicht ausschlagen. George W. Bush hatte aus deutscher Sicht also auch seine guten Seiten.

Der Kroatien-Schlappe kann man mit etwas Wohlwollen auch positive Aspekte abgewinnen: Nun wird das Match gegen Österreich richtig spannend. Die Washingtoner Fußballfreunde rätseln schon, wo sie sich dieses Spiel fernab der Heimat ansehen sollen? Einen heißen Tipp gibt es schon: Auch die österreichische Botschaft lädt ein zur Übertragung - passenderweise im deutschen Goethe-Institut.

Erklärendes, Analysierendes, Kurioses, Überraschendes, Faszinierendes und Humorvolles: Christian Wilp, n-tv Washington-Korrespondent, beobachtet für n-tv.de den US-Wahlkampf 2008.

Quelle: ntv.de

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