Dossier

Geklaute Dienstwagen, gebrochene Deiche Der Faktor Zufall im Wahlkampf

Im aktuellen Wahlkampf schrillten bereits die Alarmglocken: Ulla Schmidt ließ sich im Spanienurlaub ihren Dienstwagen klauen ...

Im aktuellen Wahlkampf schrillten bereits die Alarmglocken: Ulla Schmidt ließ sich im Spanienurlaub ihren Dienstwagen klauen ...

(Foto: picture-alliance/ dpa)

Geplant wird der Bundestagswahlkampf in den Berliner Parteizentralen zum Teil schon seit zwei Jahren. Doch womöglich entscheiden am 27. September nicht schöne Konzepte über Sieg und Niederlage - sondern der Zufall. Ein Skandal, ein Versprecher oder eine Naturkatastrophe können nach Ansicht von Parteistrategen und Wahlkampfforschern alle Strategien zunichte machen. "Die Wahlkämpfe sind spannungsärmer geworden, da kann plötzlich jedes Thema eine große Rolle spielen", sagt der Medienberater Michael Spreng. Politikwissenschaftler weisen zudem darauf hin, dass die Wähler immer weniger an bestimmte Parteien gebunden sind.

Wie sehr ein gestohlener Dienstwagen oder ein nicht zur Veröffentlichung bestimmtes Papier die Planungen durcheinanderwirbeln, bekamen SPD und Union in den vergangenen Tagen und Wochen bereits zu spüren. Die Aufregung um die Spanienreisen seiner Parteikollegin Ulla Schmidt (SPD) verhagelte SPD-Kanzlerkandidat Frank-Walter Steinmeier den sorgfältig geplanten Wahlkampfauftakt. Und bei der Union schrillten die Alarmglocken, als ein Strategiepapier zur Industriepolitik aus dem Haus von Bundeswirtschaftsminister Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU) auftauchte: Böse Erinnerungen an 2005 wurden wach, als der radikale Finanzexperte Paul Kirchhof die Union beinahe um den Sieg brachte.

Planung des Unplanbaren

... und aus Guttenbergs Ministerium tauchten irritierende Ideen zur Industrie- und Arbeitsmarktpolitik auf.

... und aus Guttenbergs Ministerium tauchten irritierende Ideen zur Industrie- und Arbeitsmarktpolitik auf.

(Foto: picture-alliance/ dpa)

Den Zufalls-Effekt zu beziffern, fällt den Parteien- und Meinungsforschern schwer. Gerade deswegen nehmen ihn die Wahlkampfmanager sehr ernst. "Der Einfluss kann erheblich sein", sagt FDP-Bundesgeschäftsführer Hans-Jürgen Beerfeltz, der die Kampagne der Liberalen plant und organisiert. Für seine Kollegin von den Grünen, Steffi Lemke, ist der Zufall sogar Teil der Strategie: "Zu unserem Konzept gehören Planungen für das Unplanbare dazu."

Auch die Wahlkämpfer der anderen Parteien versuchen, sich für den Fall X zu wappnen: Den massenhaften Ausbruch der Schweinegrippe etwa oder den plötzlichen Zusammenbruch eines deutschen Großunternehmens oder eben Skandale und Patzer in den eigenen Reihen.

Für letztere Kategorie sind nach Ansicht des Politikwissenschaftlers Oskar Niedermayer Medienbeobachtung und Gegnerbeobachtung entscheidend. Blitzschnell müssten die Parteien eine drohende Gefahr erkennen und darauf reagieren können. "Relevant ist so ein Ereignis weniger durch sich selbst, sondern dadurch, was andere Parteien und Medien daraus machen", sagt Niedermayer. Dann gelte es, das Ereignis entweder herunterzuspielen - so nannte die Union das Guttenberg-Papier umgehend "obsolet" - oder zum eigenen Vorteil umzudeuten.

Tägliche Medienbeobachtung

Die Parteien unterhalten eigene Frühwarnsysteme. "Wir betreiben jeden Tag von sechs Uhr morgens bis Mitternacht Medienbeobachtung", berichtet Beerfeltz von der FDP. Und auch bei den Grünen ist nach Auskunft von Lemke eine "Strategiegruppe" von rund sechs Leuten damit beschäftigt, neue Entwicklungen zu entdecken und darauf zu reagieren.

Schröder besuchte 2002 die Regionen, die von der "Jahrhundertflut" betroffen waren. Sein Auftritt in Gummistiefeln brachte ihm Sympathie und Stimmen ein.

Schröder besuchte 2002 die Regionen, die von der "Jahrhundertflut" betroffen waren. Sein Auftritt in Gummistiefeln brachte ihm Sympathie und Stimmen ein.

(Foto: picture-alliance/ dpa)

Auf wirklich schlimme Vorfälle wie Naturkatastrophen oder Terroranschläge können sich die Parteien jedoch nicht vorbereiten. "Mit so etwas kann man auch keinen Wahlkampf betreiben, das würde einer Partei von den Wählern zu recht übel genommen", sagt Beerfeltz. Im Vorteil ist dann die Regierung - wie im Sommer 2002, als der damalige Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) mit der Bewältigung des Jahrhunderthochwassers an der Elbe punktete. "Keine Chance" habe die Opposition gehabt, sagt Spreng, der damals den unterlegenen Kanzlerkandidaten Edmund Stoiber (CSU) beriet. Der Politikwissenschaftler Niedermayer bestätigt: "In der Krise scharen sich die Leute tendenziell um die Regierung." Das gelte auch für die derzeitige Wirtschaftskrise.

Anfällig für Zufälligkeiten

Daran, dass Zufälle über den Ausgang von Wahlen mitentscheiden, sind nach Ansicht des Meinungsforschers Klaus-Peter Schöppner die Parteien teilweise selbst schuld. "Sie haben ihren Markenkern aufgegeben", kritisiert der Leiter des Meinungsforschungsinstitut TNS Emnid. "Und deswegen sind sie anfälliger für Zufälligkeiten."

Quelle: ntv.de, Ellen Hasenkamp, AFP

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