Dossier

Vielvölker Harmonie in China Der Mythos bröckelt

Der von Peking in zahllosen Propaganda-Kampagnen verbreitete Mythos ethnischer Harmonie wird von den Vorkommnissen in Tibet und Xinjiang erschüttert.

China ist in Unruhe. Die Zusammenstöße mit muslimischen Uiguren im Nordwesten des Riesenreichs sind bereits das zweite gewaltsame Aufeinandertreffen der Bevölkerungsmehrheit der Han-Chinesen und einer ethnischen Minderheit binnen 18 Monaten. Im vergangenen Jahr war es im Umfeld der Olympischen Spiele in Peking in Tibet zu Gewaltausbrüchen gekommen. In den vergangenen Jahren gab es zudem tausende weitere - regional begrenzte - Konflikte mit wirtschaftlichen und kulturellen Hintergründen.

Die Uiguren gehört zu den 55 offiziell registrierten Minderheiten in China.

Die Uiguren gehört zu den 55 offiziell registrierten Minderheiten in China.

(Foto: dpa)

Die Kommunistische Partei sieht Tibeter - obwohl sie in der autonomen Bergregion nach wie vor die Bevölkerungsmehrheit stellen - wie auch Uiguren als sozial rückständige Gruppen an. Von der angeblich wohlwollenden Pekinger Wirtschafts- und Sozialpolitik würden sie nur profitieren. "China ist eine vereinte Nation mit 56 ethnischen Gruppierungen", hieß es in einer kürzlich erschienenen Veröffentlichung der Regierung.

Ein komplexes Problem

Doch der von Peking in zahllosen Propaganda-Kampagnen verbreitete Mythos ethnischer Harmonie wird von den Vorkommnissen in Tibet und Xinjiang erschüttert. Die Unruhen der muslimischen Uiguren machten die "Ballung historischer Faktoren" hinter den Konflikten in der Nordwest-Provinz deutlich, sagte der Historiker Chen Qianping von der Nanjing-Universität.

"Es ist nicht ein einfach gestricktes Problem, sondern ein komplexes, das von kulturellen, historischen und religiösen Faktoren gespeist wird", meinte er. Ein gravierendes Wohlstandsgefälle komme hinzu. Und selbst die Staatsmedien gaben zu: Die Hälfte der ärmsten Bewohner der Volksrepublik gehören den 55 offiziell registrierten Minderheiten an. Insgesamt machen die Minderheiten mit 100 Millionen Angehörigen einen Anteil von rund acht Prozent der etwa 1,3 Milliarden Chinesen aus. Sie leben vor allem in wirtschaftlich schwach entwickelten Regionen. Die Han-Chinesen stellen landesweit mit 92 Prozent die deutliche Mehrheit.

Offener Rassismus

Tibeter und Uiguren sehen sich in den boomenden Metropolen in Chinas Osten und Süden offenem Rassismus ausgesetzt. Dass zwei Uiguren im vorigen Monat in einer Spielzeugfabrik in Südchina von einem Mob von Han-Chinesen erschlagen wurden, bildete den bisher traurigen Höhepunkt. Die darauf folgenden Unruhen zwischen Uiguren und Han-Chinesen hätten verhindert werden können, wenn die Vorgänge wenigstens ordentlich untersucht worden wären, sagt Rebiya Kadeer, in den USA lebende Führerin der Exil-Uiguren.

Die Regierung in Peking hatte den Uiguren in Xinjiang in der Vergangenheit zwar einige Zugeständnisse gemacht, etwa Lockerungen bei der Familienplanungspolitik mit der landesweit üblichen Ein-Kind-Strategie. Aber die im Ausland lebende Uiguren bezichtigen China trotzdem, den weltweiten Kampf gegen den Terrorismus auszunutzen, um die Religionsfreiheit in Xinjiang zu torpedieren. Erst diese Woche brachte die Regierung das Aufbegehren der Uiguren mit den drei "Kräften des Bösen", dem religiösen Extremismus, Separatismus und Terrorismus, in Verbindung.

Chinas historische Gebietsansprüche auf Tibet und Xinjiang gründen sich vor allem auf die Tatsache, dass die beiden Regionen einst von Kublai Khan, dem Enkel von Dschinghis Khan kontrolliert wurden, der den größten Teil Chinas ab dem späten 13. Jahrhundert regierte. "Kublai beendete die jahrhundertelang anhaltende Situation, in der viele unabhängige Regimes nebeneinander existierten", heißt es in einer kürzlich erschienenen offiziellen Geschichtsabhandlung Chinas. Historiker Chen sieht den damals begonnenen Prozess noch lange nicht am Ende: "Es ist ein langer Weg der Integration", sagt er. Ein Offizieller aus Xinjiang drückt es noch härter aus: "Die Unruhen haben die Entwicklung der Provinz um mindestens ein Jahrzehnt zurückgeworfen."

Quelle: ntv.de, Bill Smith, dpa

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