Übergriff von Potsdam Der Prozess beginnt
04.01.2007, 11:41 UhrWochenlang beherrschte er die Schlagzeilen weit über Deutschland hinaus: Der Übergriff auf einen Deutschen äthiopischer Herkunft in Potsdam am 16. April 2006. Die Bilder des Opfers und der beiden in Handfesseln zum Hubschrauber geführten Verdächtigen fanden sich auf zahllosen Titelseiten. Rund neun Monate später - am 10. Januar - beginnt vor dem Landgericht der Prozess gegen die zwei Männer, denen zunächst versuchter Mord vorgeworfen worden war.
Der damalige Generalbundesanwalt Kay Nehm hatte von einer "Gefahr für die Innere Sicherheit" gesprochen. Angeklagt sind nun aber lediglich eine gefährliche Köperverletzung durch den Hauptbeschuldigten und unterlassene Hilfeleistung durch den Mitangeklagten.
War es doch nur eine "ganz normale" Prügelei? Oder steckten rassistische Motive hinter dem Übergriff an den Osterfeiertagen, bei dem das Opfer lebensgefährliche Verletzungen erlitt? Dies wird wohl eine Kernfrage in dem Prozess sein, in dem rund 60 Zeugen sowie sechs Sachverständige geladen sind. Aus Sicht des Opfers, das an jedem Verhandlungstag im Gerichtssaal sein will, ist das keine Frage. "Wir sind davon überzeugt, dass ein fremdenfeindlicher Hintergrund vorliegt, und werden das auch belegen", sagt Anwalt Thomas Zippel. Dem zur Tatzeit 37 Jahre alten Wasserbauingenieur, der nach dem Übergriff wochenlang mit dem Tode rang, gehe es wieder recht gut. Laut Zippel kann sich sein Mandant aber kaum an den Vorfall erinnern.
Derweil beteuern die beiden 29 und 31 Jahre alten Angeklagten ihre Unschuld. "Mein Mandant hat nichts mit der Sache zu tun", sagt Matthias Schöneburg, Anwalt des 29-jährigen Hauptangeklagten. Als Indizien gegen die Männer führt die Staatsanwaltschaft unter anderem einen Taxifahrer als Zeugen sowie den Mitschnitt eines Wortgefechts zwischen Opfer und Tätern auf der Handy-Mailbox der Ehefrau des Deutsch-Äthiopiers an. Hinweise auf einen fremdenfeindlichen Hintergrund der Tat finden sich aber nicht in der Anklage.
Die Diskussion um das Motiv hatte wochenlang für politischen Zündstoff gesorgt. Als Innenminister Jörg Schönbohm (CDU) vor voreiligen Schlüssen zu einem möglichen rechtsextremistischen und ausländerfeindlichen Hintergrund warnte, reagierte der damalige Generalbundesanwalt Nehm erbost. Doch schließlich musste er die Ermittlungen wieder abgeben und bekennen, dass der Vorwurf des versuchten Mordes nicht haltbar sei. Rückblickend sehen sowohl Opferanwalt Zippel als auch Verteidiger Schöneburg die ersten Aktionen der Ermittler als völlig überzogen an.
Dass die Tatverdächtigen in Handfesseln und mit Augenbinden zum Hubschrauber geführt wurden, der sie zum Haftrichter in Karlsruhe brachte, sei überhaupt nicht angebracht gewesen, sagte Schöneburg. Auch Zippel betont: "Hinweise auf einen Tötungsvorsatz hat es nie gegeben." Schöneburg weist zudem darauf hin, dass sich der Inhalt der im August erhobenen Anklage nicht wesentlich von den Erkenntnissen unterscheide, die unmittelbar nach der Tat schon vorlagen.
Demnach geht die Staatsanwaltschaft von folgendem Ablauf aus: Zunächst hätten die Beschuldigten an einer Haltestelle das Opfer fremdenfeindlich beleidigt, worauf gegenseitige Beschimpfungen folgten. Als sich die Angeklagten entfernten, soll der Deutsch-Äthiopier ihnen gefolgt sein und versucht haben, den 29-Jährigen zu treten. Daraufhin schlug der Hauptangeklagte dem Ingenieur mit der Faust ins Gesicht und verletzte diesen lebensgefährlich. Der 31-jährige Beschuldigte soll dem hilflos am Boden liegenden Opfer nicht geholfen haben. Die Verdächtigen sind auf freiem Fuß, saßen aber zwischenzeitlich in Untersuchungshaft. Voraussichtlich Ende Februar soll in dem Aufsehen erregenden Fall das Urteil gesprochen werden.
(Imke Hendrich, dpa)
Quelle: ntv.de