Dossier

Die Schuldenbremse kommt Der Schuldenstaat bleibt

In manchen Bundesländern werden bereits Schreckensbilder an die Wand gemalt: Weniger Schulen und Universitäten, keine neuen Polizeiwachen mehr, der Straßenbau muss gestoppt werden. Als Grund wird die angepeilte Begrenzung neuer Schulden für öffentliche Haushalte in Richtung Null genannt. Die Realität sieht ganz anders aus.

Bundestag und Bundesrat entscheiden in diesen Tagen über das bisher größte Konjunkturpaket der Nachkriegsgeschichte zur Bekämpfung der Konjunktur- und Finanzkrise. Dazu gehören massive Investitionen in Bildung und Verkehrswege. Sie kosten wieder Milliarden, die mit neuen Schulden finanziert werden. An einen Abbau der fast 1600 Milliarden Euro Alt-Schulden ist derzeit nicht einmal zu denken. Unter diesem Eindruck legten Spitzenvertreter von Bund und Ländern letzte Hand an die Reform ihrer Finanzbeziehungen.

Der Kernpunkt ist eine im Grundgesetz festgelegte Schuldenbremse mit dem Ziel, dass Bund und Länder von 2020 an grundsätzlich keine neuen Schulden mehr aufnehmen sollen. Die besonders armen Bundesländer Berlin, Bremen, das Saarland, Sachsen-Anhalt und Schleswig-Holstein erhalten als Hilfe zum Abbau ihrer Altschulden bis 2019 zusammen für neun Jahre jährlich mindestens 800 Millionen Euro.

Zweifel an der Wirksamkeit

Die Vereinbarung ist allerdings so wachsweich formuliert, dass Skeptiker ihre Wirksamkeit bezweifeln. So können die Parlamente mit den jeweiligen Regierungsmehrheiten die Schuldenbremse außer Kraft setzen, wenn sie "Notsituationen" feststellen. Für manche - etwa auch bei den Grünen - ist das die Fortsetzung des Schuldenstaats mit anderen Mitteln. So rangen die Föderalismusexperten von Bund und Ländern ein weiteres Mal über die genauen Formulierungen der Ausnahme-Regelungen.

Viele Unionsvertreter und die FDP drängten erneut auf eine exaktere Abgrenzung. Eine Ausweitung der jährlichen Hilfen für die finanzschwachen Länder über die vom Bund bislang zugestandenen 800 Millionen hinaus, will Baden-Württembergs Ministerpräsident Günther Oettinger (CDU) im Verlauf des Gesetzgebungsverfahrens bis zum Sommer noch durchsetzen. Die Linke hat Verfassungsbedenken. "Die Landesverfassungen und damit auch die Länderparlamente werden an dieser Stelle umgangen und ausgehebelt", sagte Linksfraktionsvize Bodo Ramelow.

Das von Mecklenburg-Vorpommerns Ministerpräsident Erwin Sellering (SPD) angedrohte Ausscheren der Ostländer aus dem Hilfsfonds für ärmere Länder fand keine Zustimmung. Sachsen-Anhalts Ministerpräsident Wolfgang Böhmer (CDU) sagte: "Das ist kein Thema für uns." So war sich Oettingers Co-Vorsitzender der Föderalismuskommission, SPD-Fraktionschef Peter Struck, sicher, dass bis zum Sommer alle restlichen Hürden auf dem Weg zu einer neuen staatlichen Schuldenregel genommen sein werden.

Erforderliche Mehrheiten scheinen sicher

Das betonte Struck auch an die Adresse der eigenen Reihen. Hier gibt es nach wie vor starke Bedenken, ob der Staat langfristig seine Handlungsfähigkeit mit einem Schuldenkorsett so einschränken sollte. Das politische Signal zur Sparsamkeit in der aktuellen Krise ist den Befürwortern wichtiger.

Struck verlangt dazu eine neue Sparmentalität in Deutschland: "Jedem muss bewusst sein, dass der Staat in guten Zeiten nicht Geld verteilen kann nach Belieben." Andererseits sollten Schulden in einer besonders schwierigen Wirtschaftslage wie derzeit möglich sein.

Die erforderlichen Zwei-Drittel-Mehrheiten für die Grundgesetzänderungen in Bundestag und Bundesrat stehen kaum mehr in Frage. Selbst die FDP, die eigentlich eine ausnahmslose Null- Verschuldung durchsetzen wollte und im Bundesrat eine Blockade-Minderheit bei Verfassungsänderungen hat, ist inzwischen auf Koalitionskurs: "Uns ist der Spatz in der Hand lieber als die Taube auf dem Dach."

Quelle: ntv.de, Frank Rafalski und Marc-Oliver von Riegen, dpa

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