Dossier

Großbritannien erschüttert Der Spesenskandal

Das britische Parlament durchlebt seine tiefste Krise seit Generationen. Täglich kommen neue Details ans Licht, wie Politiker sich über dubiose Spesen-Abrechnungen auf Kosten der Steuerzahler bereichert haben. Die Politik ist gelähmt, die Öffentlichkeit schäumt vor Wut über die Spesenritter von Westminister. Das Vertrauen in die Volksvertreter ist dahin, der Ausweg aus dem politischen Fiasko noch unklar. Am Dienstag forderte der Skandal sein bislang prominentestes Opfer, Parlamentspräsident Michael Martin kündigte seinen Rücktritt an. Die wichtigsten Fragen und Antworten zu dem Spesen-Skandal:

Um welche Spesen geht es bei dem Skandal?

Die Abgeordneten können verschiedene Ausgaben für den Unterhalt einer Zweitwohnung geltend machen, weil sie sowohl in ihrem Wahlkreis als auch in der Hauptstadt eine Bleibe haben müssen. Dabei muss es sich um Kosten handeln, die ausschließlich mit der Erfüllung der parlamentarischen Pflichten zusammenhängen. Pro Jahr können 24.000 Pfund erstattet werden, etwa für die Zinsen von Hypotheken oder Stromrechnungen. Zudem bekommen Parlamentarier im Unterhaus ein Jahresgehalt von rund 63.000 Pfund und hohe Zuschüsse für Büro- oder Reisekosten.

Worin besteht der Missbrauch?

Quer durch alle Parteien wurden Spesen geltend gemacht, die nichts mit der Arbeit als Abgeordneter zu tun haben. Zweitwohnungen wurden luxuriös renoviert, Schäden an einem Swimmingpool und Tennisplatz wurden ausgebessert. Teure Stereoanlagen oder andere Luxusartikel wurden angeschafft. Geld für Hypotheken wurde verlangt, die längst abbezahlt waren. Zweitwohnungen wurden öfter gewechselt, renoviert und in einem Fall gewinnbringend verkauft. Familienwohnsitze wurden mit Steuergeldern renoviert. Ein Abgeordneten-Ehepaar kassierte doppelt. Auf Kosten der Steuerzahler wurden auch Maulwurfslöcher gestopft, Mäusegift beschafft, Hundefutter gekauft und Glühbirnen gewechselt.

Wie kam das ans Licht?

Ein Unbekannter hat vertrauliche Computer-Dateien mit den Spesenunterlagen aller Abgeordneten aus den vergangenen Jahren kopiert und Medien für angeblich mindestens 250.000 Pfund zum Kauf angeboten. Die Zeitung "Daily Telegraph" griff zu, behielt aber für sich, wie viel sie für die Informationen zahlte. Seither wertet ein Team von Reportern die Dokumente aus, die Ergebnisse werden tagtäglich von der Zeitung veröffentlicht.

Wie reagieren die ertappten Spesen-Sünder?

Zunächst behaupteten die Betroffenen, die Regeln befolgt zu haben. Als immer mehr peinliche Details ans Licht kamen, entschuldigten sich die meisten Politiker. Manche sprachen von versehentlichen Abrechnungspannen, andere von unverzeihlichen Fehlern.

Gab es schon personelle Konsequenzen?

Ja. Prominentestes Opfer ist Parlamentspräsident Michael Martin. Er kündigte auf Druck der Abgeordneten seinen Rücktritt zum 21. Juni an. So etwas gab es in der Geschichte des Parlaments das letzte Mal vor über 300 Jahren. Ihm wurde eine Hauptschuld daran gegeben, dass es zu keiner Reform des Spesensystems kam. Außerdem trägt er auch Verantwortung für das Büro, dass die Spesenforderungen abhakte. Zudem legte ein Staatssekretär im Justizministerium seine Ämter nieder, zwei Politiker der regierenden Labour-Partei wurden aus ihrer Fraktion ausgeschlossen, ein Abgeordneter der Konservativen Partei beendete seine Beraterfunktion für Oppositionsführer David Cameron.

Ist es ein Fall für die Polizei?

Möglicherweise ja. Zumindest in den Fällen, die sehr nach Betrug riechen - wie das Einstreichen von Geld für bereits abbezahlte Hypotheken - könnte Scotland Yard einschreiten. Polizei und Staatsanwaltschaft wollen über die notwendigen Schritte beraten.

Welche Figur macht der Premierminister?

Gordon Brown wirkt angeschlagen und zögerlich. Im Vergleich zu Oppositionsführer Cameron kam seine Entschuldigung zu spät. Cameron war auch schneller dabei, seine eigenen Parteifreunde anzuprangern, mit Parteirauswurf zu drohen und ein innerparteiliches Untersuchungsgremium anzukündigen.

Wie ist die Stimmung in der Bevölkerung?

Explosiv. Die Menschen leiden unter der Rezession und sind daher über die Selbstbedienungsmentalität der Politiker richtig sauer. Überall wird über "die da oben" geschimpft.

Gibt es auch Profiteure des Skandals?

Ja, die kleineren Parteien, die nicht im Parlament vertreten sind. Bei der anstehenden Europawahl am 4. Juni kann die europafeindliche UKIP nach letzten Umfragen auf genau so viele Stimmen wie Browns Labour-Partei kommen. Aber auch etwa die Grünen oder die rechte BNP dürften Zulauf bekommen. Die BNP stellt ihren Europawahlkampf ganz auf den Skandal ab und wirbt mit dem Slogan "Bestraft die Schweine".

Quelle: ntv.de, Thomas Pfaffe, dpa

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