Dossier

Reform und Rhetorik Der Streit geht weiter

Von einem Befreiungsschlag ist jetzt die Rede, von Chance und Neuanfang. Damit hat die SPD Erfahrung. Björn Engholm, Oskar Lafontaine, Franz Müntefering, Matthias Platzeck - sie alle starteten als Hoffnungsträger. Keiner von ihnen hielt lange durch.

Von den sieben Parteivorsitzenden, die die SPD seit 1991 hatte, blieb Gerhard Schröder am längsten im Amt: fünf Jahre. Kurt Beck hatte nach zwei Jahren und fünf Monaten genug. Als er antrat, war er kein Hoffnungsträger. Er war alternativlos - "hinter ihm herrscht das personelle Vakuum", schrieb die "Zeit" damals. Dass Müntefering nun sein eigener Nach-Nach-Nachfolger wird, spricht Bände. Es ist keiner mehr da.

Es liegt an der Partei. Ausgerechnet die älteste und traditionsreichste der deutschen Parteien hat die gemeinsame Erzählung verloren. Zwar setzt die SPD in Wahlkämpfen gern auf eine linke Rhetorik. Doch ihre Politik ist mit dem Schröder-Schlagwort "Fördern und Fordern" besser beschrieben. Mit diesem Rezept hat die SPD die Bundestagswahl von 2002 gewonnen. Langfristig ist der Unterschied zwischen Anspruch und Wirklichkeit jedoch nicht zu kaschieren.

Die SPD besteht nicht wie andere Parteien aus zwei Flügeln, die in der Mitte verbunden sind. Die SPD ist gespalten in zwei Lager, deren sozialpolitische Positionen im Kern unvereinbar sind. Der Streit um die "Agenda 2010" war kein Streit um den richtigen Weg, sondern ging an die Grundlagen sozialdemokratischen Selbstverständnisses.

Das Problem der Umverteilung

"Wir wollen ein Land, in dem die starken Schultern für die Schwachen einstehen, und wo den Schwachen geholfen wird, stark zu werden. Das ist der Kern unserer sozialdemokratischen Idee", schrieb Frank-Walter Steinmeier in seinem ersten Brief als Kanzlerkandidat an die Mitglieder seiner Partei. Diesen Sätzen wird sicherlich jeder Sozialdemokrat zustimmen können. Aber was folgt daraus konkret?

Die Haltung zur Umverteilung, einem klassischen Anliegen der politischen Linken, zeigt, wie uneins die Partei in Schlüsselfragen ist. Die Parlamentarische Linke, der linke Flügel der SPD im Bundestag, fordert "eine Strategie der gleichmäßigeren Reichtumsverteilung", um die "Armutsbekämpfung" zu finanzieren. Der rechte Flügel, der sogenannte Seeheimer Kreis, betont dagegen, soziale Gerechtigkeit sei "mehr als nur Umverteilung": "Wer arbeitslos ist, kann Hilfe erwarten, hat aber seinen Teil dazu beizutragen, dass dieser Zustand wieder beendet wird." Zwischen diesen Positionen gibt es keinen Kompromiss.

Ein klares "Jein"

Der inhaltliche Zwiespalt der SPD findet seine Entsprechung in einem strategischen Dilemma: Darf man mit der Linkspartei zusammenarbeiten? Auch diese Frage wird von der SPD mit einem klaren "Jein" beantwortet.

Inhaltlich und strategisch bräuchte die SPD endlich eine klare Ausrichtung. Koalitionen mit der Linkspartei dürfen kein Tabu mehr sein; ob sie geschlossen werden, muss eine Frage der Durchsetzbarkeit der eigenen Positionen sein. Deshalb - nicht wegen der Vergangenheit der Linkspartei - ist Rot-Rot auf Bundesebene vorläufig ausgeschlossen.

Zugleich ist klar, dass die SPD einen Wettlauf mit der Linkspartei um die linkeren Positionen nur verlieren kann. Unter strategischen Gesichtspunkten ist der Agenda-Kurs der einzig mögliche.

Dass Steinmeier sich zu einer strategischen Öffnung zur Linkspartei wird durchringen können, ist jedoch unwahrscheinlich. Und Müntefering ist schon einmal mit einer nachhaltigen Festlegung auf den Agenda-Kurs gescheitert. Das liegt zum einen daran, dass die Linke in der SPD zu stark ist, um dauerhaft marginalisiert zu werden. Es liegt aber auch daran, dass die Kraft klassisch sozialdemokratischer Rhetorik zu verführerisch ist, um nicht doch immer wieder reaktiviert zu werden. Zweifellos ist Müntefering eine gute Wahl, wenn es darum geht, Agenda-Politik mit sozialdemokratischer Rhetorik zu verbinden. Doch diese Rhetorik ist Teil des Problems: Bei Mitgliedern und Wählern weckt sie Hoffnungen, die nicht erfüllt werden. Der Streit wird weitergehen.

Quelle: ntv.de

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