Dossier

Laufen auf Knochenresten Der Verfall von Auschwitz

Das Vernichtungslager Auschwitz verfällt. Über 60 Jahre Schnee im Winter, Trockenheit im Sommer und Millionen von Besuchern haben der Gedenkstätte im Süden Polens arg zugesetzt. Gebäude und Baracken sind marode, der Stacheldraht rostet vor sich hin. Die im Museum ausgestellten Haare der Opfer, Brillen, Kinderspielzeug und andere persönliche Gegenstände sind Motten und Schimmel ausgesetzt. Experten sind sich sicher: Sollte Auschwitz weiter dem Verfall preisgegeben werden, würden davon allein die Holocaust-Leugner profitieren.

Die Museumsleitung rekrutiert derzeit zusätzliches Personal, um Auschwitz noch lange das sein zu lassen, was es in den vergangenen Jahrzehnten war: ein abschreckendes Beispiel für die Nachgeborenen. "Wenn es nur einen Ort in der Welt gäbe, der zur Ermahnung an die Folgen von Rassismus und Intoleranz erhalten werden sollte, dann ist es Auschwitz", sagt Gedenkstättenleiter Piotr Cywinski. In dem Vernichtungslager ermordeten die Nazis bis zu 1,5 Millionen Kinder, Frauen und Männer - die meisten von ihnen Juden.

Nicht für die Ewigkeit geschaffen

Besonders zu schaffen macht den Konservatoren paradoxerweise die Tatsache, dass die Lagerkomplexe Auschwitz I und Auschwitz II Birkenau nicht für die Ewigkeit geschaffen waren. Auschwitz I, der aus Ziegeln gebaute polnische Militärstützpunkt, wurde von Zwangsarbeitern nach der deutschen Invasion in Polen 1939 hastig zu einem Lager für politische Gefangene ausgebaut. Dazu wurden billigste Materialien verwendet. Das rund drei Kilometer entfernt gelegene Auschwitz-Birkenau - 1943 für den Massenmord an Juden, Homosexuellen, Sinti und Roma sowie anderen Minderheiten errichtet - entstand zum Teil aus Trümmern zerstörter polnischer Dörfer.

Das Gelände rund um die Gaskammern ist heute abgesperrt. Einige der Besucher lassen sich jedoch nicht davon abhalten, über die Trümmerberge der vor der Befreiung des Lagers eilig gesprengten Gebäude zu steigen. Gruben mit Resten der Asche der Opfer bieten sich den Betrachtern dar. Rund um die Gruben ist der von den Besuchern zertretene Boden vermeintlich mit kleinen weißen Steinen übersät. "Es sind keine Steine, sondern Gebeine", erläutert Museumsführer Jarek Mensfelt. "Kleine Fragmente menschlicher Knochen. Es ist furchtbar, dass Touristen auf menschlichen Überresten herumtrampeln."

Haare der Opfer

Verschiedene Vorschläge zur Erhaltung von Auschwitz - darunter der Bau einer riesigen Kuppel - sind aus Kostengründen ad acta gelegt worden. Aber Geld ist nicht das einzige Problem: So können auch finanzielle Mittel etwa den Verfall der rund zwei Tonnen ausgestellten Haare von Opfern nicht stoppen. Einst blond, braun oder schwarz, ähneln sie heute eher einer grauen verfilzten Wolle.

Mehr Erfolg haben die Konservatoren mit den rund 80.000 Schuhen der Opfer. Zuletzt haben Schulkinder dabei geholfen, einige von ihnen zu putzen. "Die Arbeit ist endlos, schmerzhaft und Herz zerreißend", sagt Chef-Konservator Rafal Pioro. "Besonders als wir die Kinderschuhe gereinigt haben, haben viele von uns geweint." Alle Bemühungen dienen dem Ziel, Auschwitz auch in Zukunft "einen Schrei der Verzweiflung und eine Warnung an die Menschheit" sein zu lassen, wie es auf einer Gedenktafel in der Nähe der Gaskammern steht. "Auschwitz muss so lange wie möglich erhalten bleiben", mahnt der Holocaust-Überlebende Israel Gutman, der die israelische Gedenkstätte Yad Vashem berät: "Solange, wie es Menschen gibt, die leugnen, dass es die Judenverfolgung gegeben hat."

Quelle: ntv.de

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