Dossier

Ein halbes Jahr AGG "Des Guten zuviel"

Vor einem halben Jahr trat das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) in Kraft. Etabliert hat es sich als so genanntes "Antidiskriminierungsgesetz". Vor der Einführung hatte sich vor allem die Wirtschaft dagegen gewehrt. Im Interview mit n-tv.de zieht Roland Wolf, Leiter der Abteilung Arbeitsrecht bei der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA), eine erste Bilanz.

n-tv.de: Herr Wolf, die BDA war gegen die Einführung des so genannten Antidiskriminierungsgesetzes. Wie sieht Ihr Fazit nach einem halben Jahr aus?

Roland Wolf: Der vier Nichtdiskriminierungsrichtlinien der EU hätte es nicht bedurft. Sie sind und waren überflüssig. Die Bundesregierung hätte sie verhindern können und müssen. Nachdem sie verabschiedet waren, musste der deutsche Gesetzgeber handeln. Das hat er getan. Die konkrete Ausgestaltung des Gesetzes ist aber verfehlt. Sie geht weit über die europäischen Richtlinien hinaus.

Ist die befürchtete Klagewelle eingetreten?

Eine Klagewelle ist bisher nicht zu verzeichnen, es gibt aber erste Fälle, in denen sich Personen auf fehlerhafte Stellenanzeigen bewerben und dem Arbeitgeber gleich in der Bewerbung damit drohen, ihn auf eine Entschädigung von drei Monatsgehältern zu verklagen, obwohl sie gar kein Interesse an der Stelle, sondern nur die Entschädigung im Auge haben.

Gibt es konkrete Zahlen über diese Fälle?

Nein, konkrete Zahlen haben wir noch nicht. Aber wir haben die ersten Einzelfälle, die uns von verschiedenen Mitgliedsverbänden gemeldet wurden.

Was sind die Schwierigkeiten, die Arbeitgeber mit dem Gesetz haben?

Weitere Schwierigkeiten betreffen zum Beispiel das Vorhalten von Bewerber-Daten. Da ist noch vieles umstritten. Wir versuchen, unsere Mitgliedsunternehmen dabei zu beraten. Gespeichert werden sollten nur die Daten derjenigen Bewerber in der engeren Auswahl. Und den Rest sollte man möglichst schnell mit einem freundlichen Ablehnungsschreiben wieder zurückgeben.

Kürzlich hat ein Mittelständler auf die Klagedrohung eines Bewerbers damit reagiert, dass er keine Leute mehr einstellt. Ist das Gesetz auf irgendeine Art ein Jobkiller?

Dieser Sachverhalt zeigt anschaulich das Grundproblem unseres Arbeitsrechts und des AGG: Man macht des Guten zuviel. Der Arbeitgeber wird in die schwierige Situation gedrängt, sich entlasten zu müssen, obwohl er gar nicht diskriminiert hat und das auch nicht wollte. Im Einzelfall mag das zur Folge haben, dass gar keine Anstellungen mehr durchgeführt werden.

Gibt es noch Nachholbedarf bei Unternehmen, sich über das Gesetz zu informieren, um es entsprechend umzusetzen? Stichworte sind hier Arbeitszeugnisse und die korrekten Absagen.

Das Gesetz kennt mittlerweile jedes Unternehmen, weil es ja auch aushangpflichtig ist. Trotzdem sind wir noch meilenweit von Rechtssicherheit entfernt. Eine Ahnung von Rechtssicherheit bekommen wir eigentlich erst in vielen Jahren. Möglicherweise pendelt sich das erst in zehn Jahren ein.

Die EU prüft aktuell, ob die Richtlinien im Gesetz annehmbar umgesetzt wurden. Befürchten Sie, dass noch etwas draufgesattelt wird?

Auf europäischer Ebene ist man ja oft in Gottes Hand. Aber ich sehe keinen Anhalt dafür. Die Richtlinien sind durch den deutschen Gesetzgeber schon übererfüllt worden. Ich rechne nicht damit, dass die EU Nachbesserungsbedarf nach oben findet.

(Die Fragen stellte Jochen Müter)

Quelle: ntv.de

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