Dossier

Misstöne Deutsch-polnische Irritationen

Bei aller Entspannung, Annäherung und Versöhnung - zwischen deutschen und polnischen Regierungen gibt es seit Jahren immer wieder Misstöne. Einige Anlässe:

- EU-Verfassung: Kurz vor dem EU-Gipfel in Brüssel geht die polnische Regierung auf Konfrontationskurs mit der deutschen Präsidentschaft. Staatspräsident Lech Kaczynski erklärt, Polen lehne das 2004 im Verfassungsentwurf ausgehandelte Abstimmungsprinzip der doppelten Mehrheit ab. Stattdessen schlägt er eine Berechnung aus der Quadratwurzel der jeweiligen Bevölkerungszahl vor. Kurz vor dem Gipfel bringt Regierungschef Jaroslaw Kaczynski die polnischen Kriegstoten in das Rechenmodell ein: Ohne den Zweiten Weltkrieg hätte Polen heute etwa 66 Millionen statt 38 Millionen Einwohner, rechnet er in einem Interview vor.

- Zentrum gegen Vertreibungen: Seit Jahren belastet das vom Bund der Vertriebenen (BdV) in Berlin geplante Dokumentationszentrum zur Erinnerung auch an deutsche Opfer von Zwangsumsiedlung und Vertreibung die Beziehungen. Der polnische Ministerpräsident Jaroslaw Kaczynski und andere befürchten, dass die Deutschen verwischen wollen, wer im Zweiten Weltkrieg "Henker war und wer Opfer". In diese Richtung zielt auch die Kritik an der diesjährigen BdV-Ausstellung "Erzwungene Wege" in Berlin. Der Präsident des polnischen Parlaments, Marek Jurek, sagt: Das Wort "Vertreibung" werfe ein "falsches Geschichtsbild" auf.

- Eigentumsansprüche: Ängste in Polen lösen auch Ansprüche enteigneter Deutscher aus den früheren Ostgebieten aus, die seit 2000 von einer privaten Firma namens "Preußische Treuhand" vertreten werden. Ihre Forderungen nach individueller Rückgabe des aus ihrer Sicht "völkerrechtswidrig konfiszierten Eigentums" will die "Selbsthilfeorganisation" ohne Rückendeckung Berlins vor dem Straßburger Tribunal für Menschenrechte einklagen. Mehrfach erklärt die Bundesregierung, die "Preußische Treuhand" nicht zu unterstützen.

- Ostsee-Pipeline: Die 2005 zwischen dem damaligen Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) und dem russischen Präsidenten Wladimir Putin vereinbarte Gasleitung soll an Polen vorbei durch die Ostsee verlaufen. Russland könne den dann abgehängten Polen die Energiepreise diktieren, befürchten die Polen.

- Satire: Eine Satire der Berliner "Tageszeitung", die den polnischen Staatspräsident Lech Kaczynski mit einer Kartoffel vergleicht, gerät im Sommer 2006 fast zur Staatsaffäre. Ein Treffen des "Weimarer Dreiecks" mit Deutschland und Frankreich sagt der Präsident kurzerhand ab - offiziell, weil er krank ist. Empörung löst im September 2003 auch ein polnisches Titelblatt aus, das die Präsidentin des Vertriebenen-Bundes, Erika Steinbach, in SS-Uniform auf dem Rücken des damaligen Kanzlers Schröder sitzend zeigt. Im März stellt ein polnisches Wochenblatt Bundeskanzlerin Angela Merkel mit Hitler-Bärtchen dar. In Polen wiederum wurde ein "Spiegel"-Titelbild kritisch kommentiert - als satirische Replik auf den "Wprost"-Titel wurden die Kaczynski-Zwillinge auf den Schultern von Bundeskanzlerin Merkel dargestellt.

- Tag der Heimat: Obwohl Bundespräsident Horst Köhler auf dem "Tag der Heimat" im September 2006 Verständnis für die Sorgen der Nachbarn äußerte, kam prompt Kritik aus Polen. Köhlers Teilnahme sei ein "beunruhigendes Ereignis", sagte der Ministerpräsident.

- Schiffszwischenfall: Vor der Ostseeinsel Usedom feuerte der polnische Zoll im Oktober 2006 Warnschüsse auf das deutsche Ausflugsschiff "Adler Dania". Der Dampfer steuerte deutsche Gewässer an, nachdem als Zivilisten getarnte Zöllner Schmuggelware konfiszieren wollten.

- US-Raketenschutzschild: Meinungsverschiedenheiten gibt es auch über Polens Rolle beim Aufbau eines US-Raketenschutzschilds in Osteuropa. In Polen sollen nach den US-Plänen bis zu zehn Raketen stationiert werden, die polnische Regierung hat in dieser Frage nicht die NATO-Partner konsultiert. Bundeskanzlerin Angela Merkel kritisierte dieses Vorgehen und warb für eine Lösung innerhalb der NATO und offene Gespräche mit Russland darüber.

- Diskriminierung: Der schwere Stand, den Homosexuelle in Polen haben, wird in Deutschland immer wieder angeprangert. Auch beim Thema Pressefreiheit gibt es große Differenzen.

Quelle: ntv.de

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