Werben um Ostdeutschland Die Gießkanne bleibt
03.07.2008, 10:12 UhrDie beiden Parteien der Großen Koalition kümmern sich mal wieder um den Osten Deutschlands. Mit großen Versprechungen und alten Konzepten wollen CDU und SPD zeigen, wie sehr ihnen die Zukunft der nicht mehr ganz so neuen Länder am Herzen liegt. "Neuer Schub für Ostdeutschland" tönt es aus dem schwarzen Lager, "für die soziale Einheit" hallt es rot zurück. Und schon marschieren die beiden bundesdeutschen Landschaftsgärtner mit der Gießkanne in der Hand in Richtung Osten, um ein bisschen Geld unters Volk zu bringen.
Mit Blick auf die schlechten Umfrage-Aussichten wagt sich im Moment auch noch niemand aus SPD und CDU hervor, der die flächendeckende Förderung Ost grundsätzlich in Frage stellt - obwohl etwa im Saarland 2009 auch Wahlen anstehen und die Kommunen dort ebenfalls mit enormer Verschuldung zu kämpfen haben. Doch gegenüber n-tv.de hielt sich die Staatskanzlei von Peter Müller ebenso bedeckt wie die nordrhein-westfälische Landesregierung. Selbst die sonst so streitsüchtige CSU will der Kanzlerin beim Thema Ostförderung bislang nicht in den Rücken fallen, obwohl auch dort im Herbst gewählt wird und Ministerpräsident Erwin Huber um seine absolute Mehrheit bangen muss.
Und doch fällt es schwer, im Sommer vor dem Superwahljahr 2009 den beiden Parteien ihre Sorgen um die Zukunft der ostdeutschen Länder abzunehmen. Im nächsten Jahr stehen neben Europa- und Bundestagswahl auch die Landtagswahlen in Brandenburg, Sachsen und Thüringen im Kalender. Da drängt sich der Eindruck auf, dass es CDU und SPD vor allem um ihre eigene Zukunft im Osten der Republik geht. Nach zuletzt veröffentlichten Umfragen ist die Linkspartei mit rund 30 Prozent nämlich die stärkste Kraft in Ostdeutschland, CDU und SPD wechseln mit jeweils um die 25 Prozent je nach Umfrageinstitut die Plätze zwei und drei.
Blühende Landschaften, alte Konzepte
Angesichts dieser Ausgangslage bieten die Großkoalitionäre Versprechungen in geradezu Kohl'schen Dimensionen. Ganz im Sinne der legendären blühenden Landschaften verspricht die CDU in ihrem bereits beschlossenen Papier "Perspektiven für Ostdeutschland", bis 2020 solle der "Osten eine der wettbewerbsfähigsten und innovativsten Regionen" sein. Die SPD verzichtet in ihrem Diskussionspapier "Viel erreicht - viel zu tun" auf so starke Superlative, will aber "die nach wie vor vorhandenen Unterschiede zwischen Ost- und Westdeutschland zeitnah überwinden".
In den Details ihrer Konzepte unterscheiden sich die beiden Parteien in wohlbekannter Form. Für die Sozialdemokraten ist der Mindestlohn eines der wichtigsten Mittel, um die soziale Angleichung von West und Ost zu erreichen. Die Christdemokraten setzen auf eine Öffnung der Tarifverträge und Sonderkonditionen für die neuen Länder, um deren wirtschaftliche Aufholjagd zu beschleunigen. Doch im Grundsatz sind sich beide einig: An der gießkannenartigen Wirtschaftsförderung für die ostdeutschen Länder mit gigantischen Geldverschiebungen von West nach Ost möchte keine der beiden Parteien rütteln, obwohl ihre Wirkungen umstritten und die flächendeckende Ostförderung gar nicht mehr nötig ist.
Über 1,6 Billionen Euro
Den Überblick über alle Förderungen bei den vielen Töpfen zu behalten ist nicht leicht. Im Rahmen von Investitionsförderung, Regionalfonds, Stadtentwicklung und allen weiteren Solidar-Maßnahmen sind nach Angaben des Instituts für Wirtschaftsforschung (IWH) in Halle seit 1991 bereits mehr als 1,6 Billionen Euro vom Westen in den Osten geflossen. Das ist in etwa so viel wie die Höhe aller Staatsschulden Deutschlands zusammen. Unter Berücksichtigung der Steuer- und Sozialeinnahmen aus Ostdeutschland bleiben es laut IWH immer noch rund 1,2 Billionen Euro. Mehr als die Hälfte des Geldes wurde dabei nach Angaben der Wirtschaftsforscher für sozialpolitische Zwecke ausgegeben, für Infrastruktur gab es 12, für Wirtschaftsförderung sieben Prozent der Hilfen.
Der Solidarpakt II mit Hilfen von 156,5 Milliarden Euro bis 2019 ist längst beschlossene Sache. Erst ab 2020 soll der Osten der Republik auf eigenen Beinen stehen. Ähnlich Ziele wurden in den 90er Jahren immer wieder formuliert, aber Solidarpakt und Solidaritätszuschlag wurden immer wieder verlängert. Ob die handelnden Politiker 2019 den Willen zur Einstellung des Pakts aufbringen, bleibt abzuwarten.
Blüten im Osten
Was bislang fehlt, ist der Mut, die flächendeckende Förderung Ost auf eine allgemeine Bedarfsförderung umzustellen, die für alle Regionen Deutschlands gleichermaßen gilt. Denn der Osten Deutschlands hat sich nach fast 18 Jahren deutscher Einheit längst ausdifferenziert – an einigen Stellen hat der Aufschwung Ost tatsächlich Blüten getrieben. Zwar erreicht der Osten laut IWH bislang nur zwei Drittel der westdeutschen Produktionsleistung. Bei Wachstum und Investitionsquote liegen die ostdeutschen Länder aber bereits vor dem Westen. Laut dem jährlichen Bericht der Bundesregierung zum Aufbau Ost schafften die neuen Länder 2006 etwa ein Wachstum von drei Prozent, während die alte Republik nur auf 2,7 Prozent kam.
In einer kürzlich vom schweizerischen Prognos-Institut verfassten Zukunftsstudie schnitten zudem Dresden, Potsdam und Jena besser ab als etwa die westdeutschen Metropolen Frankfurt, Köln und Hamburg. Auch die Zahl der absoluten wirtschaftlichen Problemfälle hat in Ostdeutschland demnach deutlich abgenommen. Trotzdem bleiben die strukturschwachen Regionen dort die größten Sorgenkinder.
Verschuldeter Westen
Aber die gibt es auch im Westen. Ob Duisburg, Gelsenkirchen oder Saarbrücken – auch in den alten Bundesländern kämpfen etliche Kommunen mit hoher Arbeitslosigkeit, Bevölkerungsrückgang und fehlender Wirtschaftskraft. In einer Bertelsmannstudie von Ende Juni über die Verschuldung der deutschen Kommunen stehen das Saarland und Nordrhein-Westfalen auf dem traurigen Siegertreppchen. Nur in Mecklenburg-Vorpommern weisen die Gemeinden und Zweckverbände eine noch höhere Verschuldung auf.
Deshalb wäre es an der Zeit, die ostdeutsche Gießkanne beiseite zu stellen und auf gezielte Förderungen nach Bedarf und für alle Bundesländer gleichermaßen umzustellen. Doch bereits 2004 scheiterte der von der damaligen Bundesregierung eingesetzte "Gesprächskreis Ost" unter Vorsitz des SPD-Politikers Klaus von Dohnanyi damit, die breit gestreute Investitionszulage abzuschaffen. Nach der können vor allem produzierende Unternehmen in Ostdeutschland maximal 27,5 Prozent ihrer Investitionen steuerlich absetzen. Allein diese Gießkanne kostet rund 650 Millionen Euro im Jahr.
Dohnanyis Vorschläge wurden von der rot-grünen Koalition verworfen; SPD und CDU führen die Investitionszulage nun auch wieder in ihren aktuellen Konzepten. Und im Mai sagte die Bundesregierung auf Drängen der ostdeutschen Länder bereits ihre Verlängerung bis 2013 zu.
Förderung kann auch helfen
"Jede Investition in Ostdeutschland wurde in der Regel direkt oder indirekt gefördert", sagt Mirko Titze vom IWH in Halle gegenüber n-tv.de. Natürlich kann öffentliche Förderung auch sinnvoll sein. Denn jenseits von Gießkannenhilfen gibt es in den Geldtöpfen für Ostdeutschland auch sinnvolle, gezielte Maßnahmen, die nachhaltig helfen. Etwa die von Bund und Ländern gemeinsam getragene "Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur", die laut Titze unbestrittene Anstoßeffekte hat. "Ohne diese Förderung würden Unternehmen weniger oder gar nichts mehr investieren", sagt der Strukturexperte, der Ende 2007 eine Studie zu der Fördermaßnahme verfasst hat.
Der Unterschied: Die jährlich rund 500 Millionen teure regionale Förderung ist eine bundesweite Maßnahme, die für alle Bundesländer gilt, zurzeit aufgrund des Bedarfs aber vor allem den ostdeutschen Regionen zugute kommt.
Genau das wäre die Richtschnur, die für alle Fördertöpfe gelten könnte. Doch zu viele Landes- und Kommunalpolitiker in den neuen Ländern haben sich daran gewöhnt, am Geldtropf zu hängen. Die Hilfen sind in den Haushalten fest eingeplant. Und angesichts der trüben Umfrage-Ergebnisse im Osten Deutschlands will offenbar nun auch niemand allzu schnell etwas daran ändern. Bis 2013 wird die Gießkanne wohl also noch mindestens über Ostdeutschland hängen bleiben.
Quelle: ntv.de