n-tv Interview "Die SPD ist zerrissen"
02.10.2007, 12:57 UhrBundesarbeitsminister Franz Müntefering geht in der Diskussion über die Reformpolitik der SPD weiter auf Konfrontationskurs zu Parteichef Kurt Beck. Er plädiert klar für eine Fortsetzung der Agenda 2010. Seine Partei solle sich lieber an Prioritäten wie der Schaffung von Arbeitsplätzen, dem Mindestlohn und der Unterstützung von Familien mit heranwachsenden Kindern orientieren, so Müntefering. n-tv sprach mit dem Politikwissenschaftler Prof. Peter Lösche über den Zustand der SPD.
n-tv: Müntefering rudert zwar schon wieder ein wenig zurück, aber bei einem so alten Polit-Haudegen wie Müntefering ist sicher nichts Zufall. Wie sehr ist Becks Ansehen nach diesem doch recht undiplomatischen Akt des Vizekanzlers beschädigt worden?
Lösche: Nun, das Ansehen ist durchaus beschädigt worden. Man verständigt sich natürlich mit dem Vizekanzler, bevor man an die Öffentlichkeit geht. Aber was hier zum Ausdruck kommt, ist eine Spaltung innerhalb der SPD seit der Agenda 2010, also seit 2003. Das war eine programmatische Wende der Partei, die nicht zufällig zum Sturz des Kanzlers Schröder 2005 geführt hat. Und Beck versucht, die Linke mit zu integrieren, zu gewinnen für sich, damit die Partei schließlich und endlich bei der kommenden Bundestagswahl in zwei Jahren einheitlich und geschlossen auftreten kann. Taktisch sah das aber nicht besonders gut aus letzte Nacht.
Sie haben die Agenda 2010 angesprochen. Warum reklamieren die Sozialdemokraten die Erfolge dieser Agenda – die sind ja zu sehen in dieser Legislaturperiode – nicht ganz einfach für sich?
Die Sozialdemokraten versuchen, die Erfolge für sich zu reklamieren. Das Sinken der Arbeitslosenzahlen, das hat ja einen großen Symbolcharakter. Nur: Kanzlerin ist Frau Merkel von der CDU und in der Öffentlichkeit werden die Erfolge – allerdings auch die Niederlagen – einer Koalition der Chefin, dem Chef zugeschrieben, also der Kanzlerin. Da hat die SPD es sehr schwer, sich zu profilieren und Anspruch zu erheben darauf, dass ihre Reformpolitik die großen Erfolge gebracht hat.
Selbst der Altkanzler, der ja immerhin seine Agenda 2010 wackeln sieht, grollt gegen Beck, während sich Steinmeier und Gabriel vornehm zurückhalten. In welchem Zustand ist die SPD aus ihrer Sicht in diesen Tagen?
Sie ist zerrissen in zwei Flügel. Da sind auf der einen Seite die Traditionalisten, die den alten Sozialstaat noch nicht aufgeben wollen, ihn doch irgendwie zu restaurieren versuchen. Und auf der anderen Seite sind die Reformer, die Arbeitsplätze schaffen wollen. Die Partei ist in dieser Frage zerstritten. Kaum überbrückbar sind die Gegensätze. Sie kommt zudem in eine Zangenbewegung: auf der Linken die Linksparte, Oskar Lafontaine, auf der Rechten die CDU mit Jürgen Rüttgers, der, gerade was das Arbeitslosengeld I angeht, auch ein Staffelmodell für die Partei reklamiert hat, das in Dresden auf dem Parteitag vor einem Jahr dann auch beschlossen worden ist. Das heißt, die SPD ist innerlich zerrissen und sie steht unter dem Druck der Sozialausschüsse der CDU und der Linkspartei.
Quelle: ntv.de