Dossier

Breite Datenspuren überall Die Volkszählung kommt

Die nächste Volkszählung kommt bestimmt, auch wenn der Bundesrat wegen des Vorbereitungsgesetzes den Vermittlungsausschuss angerufen hat. Der Einspruch bedeutet allenfalls eine Verzögerung. "Manche meinen möglicherweise, in Zeiten einer großen Koalition wäre es ein unfreundlicher Akt, den Vermittlungsausschuss anzurufen", sagte Hessens Bundesratsminister Volker Hoff (CDU) zur Widerborstigkeit der Länder. Dem Bundesrat geht es aber um Verfahrensfragen, Zuständigkeiten und darum, wer das Ganze bezahlt. An der Notwendigkeit einer neuen Zählung zweifelt auch in der Länderkammer keiner.

Zeit des Boykotts

Das war in den 80er Jahren ganz anders. Damals fegte eine Protestwelle durch die alte Bundesrepublik. Die Kritiker misstrauten dem Vorhaben, sie unterstellten dem Staat, seine Bürger zu durchleuchten und Daten zu missbrauchen. Mancher fürchtete, die düstere Version eines Überwachungsstaates, wie sie George Orwell in seinem Roman "1984" beschrieben hatte, könnte sich nun erfüllen. Viele verweigerten sich, andere boykottierten die Zählung auf subversive Weise, indem sie den umfangreichen Fragebogen mit falschen und oft skurrilen Angaben ausfüllten.

Der damalige Protest verzögerte die Totalerhebung um Jahre und führte 1983 nach einer Verfassungsbeschwerde zu einem bemerkenswerten Urteil des Bundesverfassungsgerichts. Karlsruhe definierte ein neues "Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung". Der Wissensdurst des Staates wurde beschränkt. Die Paragrafen mussten umgeschrieben, Daten geschützt werden. Der Protest gegen die Volkszählung hielt gleichwohl an, verebbte aber schließlich. 1987 wurde gezählt.

Abzählen keine Problem mehr

Inzwischen hat sich Vieles verändert. Im Zeichen terroristischer Bedrohung gerät der Datenschutz in die Defensive. Der Datenschutz dürfe nicht die Täter schützen, sagen Sicherheitspolitiker. Auch wenn immer weiterreichende Datenerhebungen wie die Vorratsspeicherung von Telefon- und Internetverbindungsdaten oder die geplante Online-Durchsuchung auf Widerstand stoßen, hat sich die allgemeine Einstellung erheblich verändert.

Veränderte Gewohnheiten der Bürger brachten den Wandel. Viele gehen sehr sorglos mit ihren Daten und ihrer Privatsphäre um. Ohne Scheu geben viele selbst intime Details preis. In aller Öffentlichkeit plaudern Menschen minutenlang und keineswegs leise am Mobiltelefon und lassen die Umgebung so an ihrem privaten Leben teilhaben. Anderswo, im Internet, mit ihren E-Mails, bei der Bezahlung per Kredit- oder EC-Karte und mit zahllosen Kundenkarten hinterlassen die Bürger eine breite Datenspur. Ein sehr persönliches Profil anzufertigen, wäre technisch kein Problem. Wer so sorglos mit den eigenen Daten umgeht, leistet keinen Widerstand gegen eine Volkszählung.

Registergestützte Zählung

Hinzu kommt, dass auch der Staat gazugelernt hat. Eine Totalerhebung wie vor 20 Jahren ist nicht geplant. 2011 werden nicht hunderttausende Zähler von Haus zu Haus ziehen. Die "registergestützte Zählung" soll zunächst einmal die bei Meldeämtern und der Bundesagentur für Arbeit vorhandenen Daten erfassen. Ergänzt wird dies durch Stichproben bei etwa sieben Millionen Bürgern sowie einer Befragung der 17,5 Millionen Immobilienbesitzer. Dagegen erheben selbst die Datenschützer keine grundsätzlichen Einwände.

Eine neue Volkszählung halten nicht nur Politiker, sondern auch Statistiker und Planer aller Couleur für dringend erforderlich. Zu ungenau seien die vorliegenden und immer nur fortgeschriebenen Daten, die zuletzt 1987 in der alten Bundesrepublik und 1981 in der DDR erhoben wurden. Die Statistiker schätzen, dass nicht 82 Millionen Menschen in Deutschland leben, sondern 1,3 Millionen weniger. Die Daten bilden die Grundlage für viele politische Entscheidungen, den Finanzausgleich, den Bau von Schulen, Kliniken, Wohnungen. Die Zahl der Einwohner bestimmt die Anzahl der Stimmen eines Landes im Bundesrat und die Größe eines Wahlkreises. Treibende Kraft hinter der neuen Volkszählung ist zudem die Europäische Union, die in allen Ländern neue Daten erheben will.

Von Norbert Klaschka, dpa

Quelle: ntv.de

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