Dossier

Timoschenko führt Regierung Die streitbare Ukrainerin

Am Ende musste Julia Timoschenko noch einmal zittern: Im zweiten Anlauf stimmte die Regierungskoalition im ukrainischen Parlament per Handzeichen ab, um ihr die hauchdünne Mehrheit zu sichern. Jetzt lenkt die charismatische Politikerin mit dem traditionellen Haarkranz zum zweiten Mal nach 2005 die Regierungsgeschäfte. Zuvor hatte Timoschenko in der Orangenen Revolution von 2004 Viktor Juschtschenko mit ihren mitreißenden Reden den Weg ins Präsidentenamt geebnet.

Knapp drei Monate hat Timoschenko um ihre Koalition kämpfen müssen. Beim Koalitionspartner Unsere Ukraine gab es bis zuletzt Vorbehalte gegen die energische 47-Jährige. Doch Timoschenko konnte sich vorerst gegen ihre männlichen Rivalen durchsetzen: Die Dauerrivalen, Staatschef Juschtschenko und Ex-Regierungschef Viktor Janukowitsch, stehen wieder einmal im Schatten der kleinen Powerfrau. Mehr Charisma als die "schöne Julia" hat derzeit kein ukrainischer Politiker. Auch ihr Machtinstinkt sucht seinesgleichen.

In blütenreinem Weiß

In der Obersten Rada stellte sich Timoschenko am Dienstag in ihren Parteifarben gekleidet zur Wahl. Das blütenreine Weiß soll für die prowestliche Politikerin auch den Kampf gegen die schmutzige Korruption im Land symbolisieren. Dabei hat auch Timoschenko nach Ansicht ihrer Gegner keine saubere Weste vorzuweisen.

Schon vor ihrer Wahl drohte Timoschenko, die von ihrem Vorgänger Janukowitsch kurz vor Ende seiner Amtszeit ausgehandelte Gas-Vereinbarung mit dem großen Nachbarn Russland zu kippen. Generell dürfte das russisch-ukrainische Verhältnis unter der neuen Regierungschefin leiden. In ihrer ersten Amtszeit wurde Timoschenko von der russischen Justiz noch per Haftbefehl gesucht. Sie sollte Mitte der 1990er Jahre im Zuge zwielichtiger Geschäfte russische Militärs bestochen haben.

Juschtschenko fürchtet Timoschenkos Konkurrenz

Durch die Privatisierungswelle nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion stieg Timoschenko in den 1990er Jahren an der Seite ihres Mannes zur "Gasprinzessin" auf. Mittlerweile lebt das Paar, das eine erwachsene Tochter hat, seit über zehn Jahren getrennt. 1999 wurde Timoschenko Vizeregierungschefin unter dem damaligen Präsidenten Leonid Kutschma. Doch der ließ sie fallen, als sie 2001 wegen Schmuggels und Urkundenfälschung angeklagt wurde. Bei ihrer Freilassung nach 42 Tagen Untersuchungshaft schwor die kompromisslose Politikerin der damaligen Machtelite um Kutschma Rache.

Als Ministerpräsidentin unter Juschtschenko 2005 kündigte sie an, die Privatisierung von etwa 3000 Betrieben zu überprüfen. Beobachter werfen der Taktikerin vor, sie sei nur sich selbst gegenüber loyal. Timoschenko argumentiert dagegen, sie habe sich von vermeintlichen Verbündeten verraten gefühlt, Juschtschenko eingeschlossen.

Auch diesmal dürfte der ukrainische Präsident die streitbare Regierungschefin nicht aus vollem Herzen unterstützt haben. Seine Partei Unsere Ukraine hätte als drittstärkste Kraft auch eine Koalition mit der Partei der Regionen eingehen können, die die Wahl am 30. September knapp gewonnen hatte. Juschtschenko fürchtet Timoschenkos Konkurrenz bei der Präsidentenwahl 2009. Dass die "Jeanne d'Arc der Orangenen Revolution" mit dem Amt Juschtschenkos liebäugelt, ist in der Ukraine kein Geheimnis.

Von Erik Albrecht, dpa

Quelle: ntv.de

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