Im Schatten der Finanzkrise EU-Klimapaket gefährdet
12.10.2008, 15:17 UhrDie Rettung des Weltklimas im Schatten der Finanzkrise ist tückisch. Ohnehin zählt das Klimaschutzpaket zu den ambitioniertesten Gesetzesvorhaben der Europäischen Union aller Zeiten. Seit gut eineinhalb Jahren ringen die Gesetzgeber - EU-Regierungen, Europaparlament und Europäische Kommission - in einem kaum noch zu überschauenden Verhandlungsmarathon um die Lastenteilung. Gleichzeitig liefern sich Vertreter von Industrie und Naturschutzorganisationen eine beispiellose Lobby-Schlacht. Unternehmen warnen vor Milliardenkosten und drohen mit Stellenabbau. Jetzt bekommen sie angesichts der Bankenkrise Rückenwind: Besonders aus Deutschland mehren sich die Stimmen, die mahnen, in Zeiten des Abschwungs dürfe man der Wirtschaft nicht noch mehr aufbürden.
Gipfeltreffen in Brüssel
Bei ihrem Gipfeltreffen von diesem Mittwoch an in Brüssel sollen die 27 Staats- und Regierungschefs die Marschroute vorgeben. Die Zeit drängt: Im Dezember beginnen im polnischen Poznan die Verhandlungen für ein neues Weltklimaabkommen, das das Kyoto-Protokoll zur Verringerung des Treibhausgas-Ausstoßes ersetzen soll. Europa - selbsternannter Vorreiter im globalen Kampf gegen die Erderwärmung - will sein Klimapaket bis dahin geschnürt haben und auf den Verhandlungstisch legen können. Endgültig unterzeichnet werden soll das Abkommen im Dezember 2009 in Kopenhagen.
Mit den Wahlen zum Europaparlament im kommenden Juni und der Neubesetzung der EU-Kommission im Herbst dürfte der Gesetzgebungsprozess in der EU vom Frühjahr an jedoch weitgehend lahm liegen. Und so gibt Frankreichs machtbewusster Staatschef Nicolas Sarkozy, der als EU-Ratspräsident derzeit die Verhandlungen leitet, unermüdlich die Parole aus: Das Klimapaket muss bis Jahresende unter Dach und Fach sein.
Tief in die Trickkiste greifen
Dafür haben die EU-Chefs schon tief in die Trickkiste gegriffen und zum Verdruss nicht weniger Industrie-freundlicher Europaabgeordneter das Gesetzgebungsverfahren verkürzt. Verhandelt wird mit den Mitgliedstaaten derzeit auf Grundlage der Gesetzesvorschläge von EU-Umweltkommissar Stavros Dimas und der entsprechenden Beschlüsse der Industrie- und Umweltausschüsse des EU-Parlaments. Und hier ist die Richtung klar: Selbst der mächtige, eigentlich unternehmerfreundliche Industrieausschuss hat sich gegen ein Aufweichen der Klimaziele ausgesprochen.
Doch den EU-Akteuren bläst zunehmend der Wind entgegen. Als sich der EU-Gipfel im März 2007 unter der Leitung der damaligen Ratspräsidentin, Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU), auf die Klimaziele einigte, befand sich Europas Wirtschaft im Aufschwung. Beschlossen wurde, dass die EU bis 2020 den Kohlendioxid (CO2)-Ausstoß um ein Fünftel senken soll. Gelingt es im Rahmen der Weltklima-Verhandlungen, auch große Verschmutzer wie die USA oder China ins Boot zu holen, steigt das Ziel auf 30 Prozent. Die Industrie soll für ihren CO2-Ausstoß mittels des Emissionshandelssystems bezahlen.
Wenig später bereits begannen die Mitgliedstaaten, in Brüssel ihre jeweiligen Forderungskataloge vorzulegen: Deutschland kämpft für seine Hersteller großer Luxuslimousinen, die viel CO2 ausstoßen. Polen bangt um seine Kohlekraftwerke, Irland um seine Viehzüchter, deren Rinder und Schafe viel Methan produzieren. Ist man in Brüssel die Präsenz riesiger Lobby-Apparate gewohnt, so sei man diesmal doch einem "maßlosen Frontalangriff" ausgesetzt, meinen die Grünen.
Zeichen stehen auf Flaute
Bisher lautete in der EU in solchen Fällen die Parole: Das Ja wird erkauft, reiche EU-Staaten legten Geld auf den Tisch. Jetzt aber stehen die Zeichen auf Flaute, die Bankenkrise wird auch die Industrie auf absehbare Zeit lähmen. Zahlmeister Deutschland selbst hat Angst, dass ganze Sektoren, die wie die Chemie oder Stahl viel Energie brauchen, ins nichteuropäische Ausland abwandern. Die Finanzkrise habe das Umfeld "völlig verändert", dies müsse berücksichtigt werden, fordert der Chef der CDU/CSU-Gruppe im EU-Parlament, Werner Langen. Sogar Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) warnt: "In einer solchen Krise ist nicht auszuschließen, dass sich das Interesse am Klimaschutz verändert."
Immer mehr Mitgliedstaaten träten auf die Bremse, sagen Beobachter. Das Klimapaket der EU sei "in großen Schwierigkeiten", glaubt sogar das angesehene britische Wirtschaftsmagazin "The Economist". "Im März 2007 war Merkel die Umwelt-Heldin. Heute hört sie sich an wie eine Lobbyistin für Deutschlands Industrie." Dimas will vom Bremsen nichts wissen. Krisen wie die Finanz- oder Nahrungsmittelkrise würden, so hoffe er, eines Tages besiegt. "Aber der Klimawandel bleibt eine permanente Bedrohung."
Quelle: ntv.de, Dorothe Junkers, dpa