Dossier

Außenpolitische Offensive Ein Jahr Tusk

Als Donald Tusk vor einem Jahr seinen national-konservativen Widersacher Jaroslaw Kaczynski vom Ministerpräsidenten-Posten auf die Oppositionsbank verdrängte, ging durch europäische Hauptstädte ein Aufatmen. Auch in Polen dominierte das Gefühl der Erleichterung. Denn die von den Kaczynski-Zwillingen ausgerufene "Vierte Republik", die dem Land in den Jahren 2005 bis 2007 eine permanente innenpolitische Krise sowie zahlreiche Konflikte mit den Nachbarn beschert hatte, war damit vorerst beendet.

In seiner ersten Regierungserklärung versprach Tusk seinen Landsleuten dann auch eine "normale Regierung in einem normalen Land", ohne den "zynischen Radikalismus" seiner Vorgänger. "Schluss mit den heißen politischen Kriegen", kündigte der liberal- konservative Hoffnungsträger an, der am 16. November vergangenen Jahres im Parlament den Amtseid leistete. Er plane keine Revolution, beruhigte Tusk Polens Bürger damals.

Position stärker den je

Die Politik der leisen Töne zeigte Wirkung. Die Umfragen sprechen eine deutliche Sprache: Tusk ist nach wie vor mit Abstand der populärste Politiker Polens, mehr als die Hälfte seiner Landsleute vertrauen ihm. Auch seine Regierung aus der liberal-konservativen Bürgerplattform (PO) und der Polnischen Bauernpartei (PSL) genießt einen Zuspruch von mehr als 50 Prozent. Die größte Oppositionspartei, Recht und Gerechtigkeit (PiS) von Jaroslaw Kaczynski, kann derzeit nur mit etwa 25 Prozent der Stimmen rechnen. Obwohl Staatspräsident Lech Kaczynski keine Gelegenheit auslässt, um Tusk das Leben schwer zu machen, ist heute die Position des Ministerpräsidenten stärker denn je.

Die beispiellose Popularität verdankt Tusk vor allem seinen Aktivitäten auf internationaler Bühne. Nach dem Amtsantritt startete er sofort eine außenpolitische Offensive, um das angeschlagene Image seines Landes in der EU zu verbessern und die Beziehungen zu den beiden großen Nachbarn Deutschland und Russland nach den Turbulenzen der Kaczynski-Amtszeit zu entkrampfen. Mit dem Konzept der Partnerschaft mit den östlichen Nachbarn der EU wurde Warschau erneut zum wichtigen europäischen Spieler. Wenn Tusk allerdings Polens Interessen gefährdet sieht, kann er auch Härte zeigen. Sollten Polens Änderungsvorschläge zum EU-Klimaschutzpaket unberücksichtigt bleiben, werde er ein Veto einlegen, drohte er.

Die Entkrampfung des immer noch durch historische Themen belasteten Verhältnisses zu Berlin und die vorsichtige Öffnung nach Moskau erweiterten den außenpolitischen Spielraum Polens. Gleichzeitig zeigte Warschau mehr Selbstsicherheit gegenüber den USA und konnte bei Verhandlungen über die Errichtung des US-Raketenschilds verbesserte Bedingungen erreichen. Wie vor der Wahl versprochen, wurden die polnischen Soldaten aus dem Irak abgezogen. "Polen ist zu einem normalen, berechenbaren Partner geworden", lobte die Zeitung "Gazeta Wyborcza".

Innenpolitik kleiner Schritte

Außenpolitische Erfolge konnten allerdings immer weniger die Versäumnisse in der Innenpolitik verdecken. "Tusks Team ist entweder machtlos oder faul", urteilte im Sommer der Politologe Marek Migalski. Die Regierung habe die Hoffnungen auf Modernisierung des Landes enttäuscht, kritisierte er. "Die Bürgerplattform tut überhaupt nichts", schrieb die Soziologin Jadwiga Staniszkis.

Die Beobachter der politischen Szene sehen die Ursachen für Tusks Angst vor mutigen Reformen in seinen Plänen, sich im Jahr 2010 um das Präsidentenamt zu bewerben. Um seine Siegeschancen durch unpopuläre Reformen nicht zu verspielen, begnüge sich Tusk mit der Politik kleiner Schritte, erläuterte Witold Gadomski in "Gazeta Wyborcza". Tusk sollte auf präsidiale Ambitionen verzichten und sich endlich aufs Regieren konzentrieren, appellierte der Journalist.

Bewährungsprobe 2009

Alle, die an seine Reformentschlossenheit nicht mehr glaubten, überraschte Tusk in diesem Herbst. Ungeachtet heftiger Straßenproteste sowie Veto-Drohungen seitens des Staatsoberhauptes setzte die Regierungskoalition im Parlament mit der Gesundheits- und Rentenreform zwei wichtige Vorhaben durch. Mit seltener Entschlossenheit kündigte Tusk zudem an, zum 1. Januar 2012 den Euro einführen zu wollen.

Die echte Bewährungsprobe für Tusk soll aber nach Expertenmeinung erst 2009 kommen. Die Finanzkrise soll dann zur Verlangsamung des Wirtschaftswachstums (2008: 5,5 Prozent) in Polen führen. Unter den Folgen könnten auch junge, gut ausgebildete Menschen leiden, die jetzt zu den Stützen der Regierung zählen. Wenn aber die PO diese Probleme in den Griff bekomme, könne sie mit hoher Wahrscheinlichkeit bis 2015 an der Macht bleiben, meinte Gadomski.

Quelle: ntv.de, Jacek Lepiarz, dpa

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