Dossier

"Geheimes" Projekt Ein Viehwagen für Auschwitz

Im Gedenken an seinen in Auschwitz ermordeten Vater spendet ein australischer Milliardär dem ehemaligen KZ einen Waggon aus der Nazizeit - und provoziert einen Eklat.

Der renovierte Waggon aus der Nazizeit ...

Der renovierte Waggon aus der Nazizeit ...

Neben der Rampe von Auschwitz und Bildern der Krematorien gehören die hölzernen Viehwagen der deutschen Reichsbahn zu den prägenden visuellen Symbolen der Judenvernichtung in der Nazizeit. Frank Lowy, ein australischer Milliardär, hörte zufällig einen Vortrag des Forschers Gideon Greif der Jerusalemer Holocaust Gedenkstätte Jad Vaschem und fragte ihn, wie er seinem in Auschwitz ermordeten Vater Hugo Lowy ein Denkmal setzen könnte. Greif erzählte ihm, dass viele Juden schon unmittelbar nach ihrer Ankunft auf der Rampe von Auschwitz umgebracht worden seien, noch vor der Selektion, bei der Josef Mengele mit einer Fingerbewegung bestimmte, wer für den sofortigen Tod in der Gaskammer bestimmt war oder durch Fronarbeit langsam ermordet werden sollte. So entstand die Idee, einen originalen Viehwagen aus der Zeit zu suchen, instand zu setzen und ihn der Gedenkstätte Auschwitz zu spenden, damit er bei der historischen Rampe aufgestellt werde.

Diese ehrenwerte Idee nahm am Ende eine hässliche Wende durch einen Wortbruch des ehemaligen Ministerpräsidenten Olmert und wegen einer unerklärten Rücksichtslosigkeit des Spenders Lowy. Die israelische Zeitung Haaretz bezichtigte den in Korruptionsaffären verwickelten Olmert, ein ursprünglich "geheimes" Projekt an die Öffentlichkeit getragen zu haben. Der australische Milliardär stand im Verdacht, Olmert mit Geldgeschenken bestochen zu haben. Mangels Beweisen wurde dieser Fall jedoch geschlossen.

Das Geheimnis wird gelüftet

... ist eine Spende an die Gedenkstätte von Auschwitz-Birkenau.

... ist eine Spende an die Gedenkstätte von Auschwitz-Birkenau.

(Foto: ©images.de/Varda)

Als in der vergangenen Woche ganz Israel mit Spannung auf die Rückkehr eines "prominenten Israeli" aus dem Ausland wartete, der sich dort "mit einem Personenschutz wie für einen ehemaligen Ministerpräsidenten" aufhielt, dessen Name aber wegen einer richterlichen Verfügung nicht veröffentlicht werden durfte, erklärte Olmert in Paris, dass er vor seiner Rückkehr nach Israel noch an einer "privaten Zeremonie in Auschwitz" teilnehmen wollte. So wurde auf Umwegen die geheime Geschichte des Viehwagens für Auschwitz publik. Olmert verzichtete am Ende auf die Teilnahme an der Privatzeremonie seines "Freundes", um sich einem Verhör der Polizei in Israel zu stellen. Wie Haaretz berichtet, brachte die ganze Affäre die beteiligten Organisationen in Verlegenheit und sie verboten Kontakte mit der Presse.

Vor über einem Jahr wandte sich Lowy an die Organisation Keren Hajesod - United Israel Appeal. Diese Organisation sammelt Spenden für Projekte in Israel. Lowy bat sie, einen Original-Viehwagen zu finden und in Auschwitz aufstellen zu lassen. Lowy stellte dafür 100.000 Euro zur Verfügung. Doch die Gedenkstätte Auschwitz legte ein Veto ein. Grundsätzlich werde im ehemaligen Vernichtungslager nichts ausgestellt, was die russischen Befreier am 27. Januar 1945 dort nicht vorgefunden hätten. Ebenso würden keine individuelle Gedenkstätten oder Zeremonien zugelassen. Doch eine Spende Lowys stimmte die polnischen Verwalter von Auschwitz um, heißt es bei Haaretz. Zudem musste Lowy zustimmen, dass an dem historischen Waggon eine Tafel zum Gedenken an die Transporte aus Ungarn angebracht werde.

Auf der Suche nach einem Waggon

Mit Lowys Spende finanzierte Keren Hajesod die Suche nach einem Viehwagen, dessen Beschaffung und Restauration. Der bekannte israelische Journalist Micha Limor wurde beauftragt einen Waggon zu suchen, nachdem man in Ungarn und Polen nichts gefunden hatte. Zwei Wochen lang fuhr Limor mit Claudia Korenke, Vizepräsidentin der Deutsch-Israelischen Gesellschaft aus Frankfurt, und ihrem Mann, dem Kommunalpolitiker und Eisenbahnfachmann Bernhard Mertens, zu Abstellgleisen deutscher Bahnhöfe, auf der Suche nach unverschrotteten alten Waggons.

Eine Frau geht bei einer Gedenkfeier in Auschwitz die Gleise entlang.

Eine Frau geht bei einer Gedenkfeier in Auschwitz die Gleise entlang.

(Foto: picture-alliance/ dpa)

Am Ende fand Claudia Korenke in Wessum nahe der holländischen Grenze einen Viehwagen, wie ihn die Nazis für die Judentransporte verwendet hatten. Limor bat dessen Besitzer, den Arzt Dr. Ronald Hauser, den Güterwagen "für den Staat Israel" zu spenden, zwecks Gedenkens in Auschwitz. Zwei Künstler der "Schmiede", Ulrich Feldhaus und Martin Kaufmann, renovierten den Wagen, nachdem Alfred Gottwald, Leiter der Abteilung Schienenverkehr im Deutschen Technikmuseum in Berlin, dessen Authentizität bestätigt hatte. Am 15. September 2009 wurde der Waggon mit einem Sattelschlepper zur Rampe in Auschwitz-Birkenau transportiert.

Eine private Gedenkfeier

Zum Eklat kam es, als der Spender Frank Lowy dort eine geheim gehaltene private Gedenkfeier nur für seinen ermordeten Vater veranstaltete. Weder Hauser, der den Waggon "für Israel" gespendet hatte, noch Limor und Korenke, die ihn entdeckt hatten, noch die Restaurateure waren eingeladen worden. "Ich habe mich an dem Projekt beteiligt, weil ich es für eine öffentliche Mission zum Gedenken an alle Opfer des Holocaust hielt", sagt Limor. "Ich war wütend, dass keiner der Beteiligten eingeladen worden war, die alle glaubten, hier ein würdiges Monument für die Allgemeinheit zu schaffen." Limor bezichtigte den Spender der Rücksichtslosigkeit, nur seine engsten Freunde, darunter Olmert, eingeladen zu haben, nicht aber jene, die sich bemüht hätten, die Gedenkstätte zu ermöglichen. Ein Sprecher von Keren Hajesod redete sich heraus und sagte: "Wir haben nur logistische Hilfe geleistet. Für die Zeremonie war das Auschwitz-Museum verantwortlich." Ein Sprecher der Auschwitz-Gedenkstätte erklärte: "Wir waren nur die Gastgeber und haben die Zeremonie nicht organisiert." Der Haaretz-Reporter solle sich mit Fragen an Keren Hajesod wenden.

Nur wenige Viehwagen, mit denen die Juden in den Tod transportiert worden sind, existieren noch: im ehemaligen KZ Stutthoff, in Mittelbau-Dora und in der Jerusalemer Gedenkstätte Jad Vaschem.

Der Nahe Osten ist sein Metier. Ulrich W. Sahm berichtet seit Mitte der 1970er Jahre aus der Region. Er ist immer auf der Suche nach der Geschichte hinter der Nachricht.

Quelle: ntv.de

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