Acht Jahre Karsai Eine ernüchternde Bilanz
15.08.2009, 12:57 Uhr
Karsai konnte seine Wahlversprechen nicht einlösen. Dennoch geht er als Favorit ins Rennen.
(Foto: dpa)
Es war ein Moment des Aufbruchs: Bei der ersten freien Präsidentschaftswahl Afghanistans im Oktober 2004 bildeten sich lange Schlangen vor den Wahllokalen in Kabul, die Hoffnung der Menschen auf Frieden und eine bessere Zukunft war spürbar. Eine Mehrheit stimmte für den damaligen Übergangspräsidenten Hamid Karsai. Bei seiner Vereidigung im Dezember 2004 sagte er: "Jetzt haben wir eine harte und dunkle Vergangenheit hinter uns gelassen, und heute öffnen wir ein neues Kapitel in unserer Geschichte." Der Optimismus bewahrheitete sich nicht. Und so ist die Lage in Afghanistan düsterer denn je seit dem Sturz der Taliban. Dennoch geht Karsai bei der Präsidentschaftswahl am 20. August als Favorit ins Rennen.
Bei seiner Amtseinführung vor fünf Jahren kündigte der damals besonders von den USA gestützte Präsident an, seine Regierung werde in ihrer Legislaturperiode den Drogenanbau unterbinden und die Milizen entwaffnen. Sie werde Armut und Korruption bekämpfen, die Verwaltung reformieren, die zerstörte Infrastruktur wieder aufbauen und den Kampf gegen den Terrorismus fortsetzen. Doch die Bilanz von fast acht Jahren Karsai-Präsidentschaft - die Zeit als Übergangs-Regierungschef mit eingerechnet - ist ernüchternd.
Mühsame Reformen
Afghanistan ist unter Karsai wieder zum weltgrößten Produzenten von Rohopium aufgestiegen. Auch die Armut ist nicht besiegt: Von einem niedrigen Niveau aus verzeichnet Afghanistan zwar seit Jahren starkes Wirtschaftswachstum, doch Millionen Afghanen kämpfen heute noch ums tägliche Überleben. Jobs sind Mangelware. Auf dem Korruptionsindex von Transparency International stand das Land im vergangenen Jahr auf dem 176. von 180 Plätzen. Verwaltungsreformen gestalten sich mühsam, Rechtssicherheit gibt es kaum.

Unter Karsai ist Afghanistan wieder zum weltgrößten Produzenten von Rohopium aufgestiegen.
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Mächtige Milizenchefs versorgte Karsai mit Ämtern, statt sie zu entmachten. Den nordafghanischen Warlord Mohammad Kasim Fahim hat er bei der anstehenden Wahl als seinen Vizepräsidenten nominiert - Menschenrechtler werfen Fahim Kriegsverbrechen vor. Damit versetzte der Präsident zwar der Nordallianz, die Ex-Außenminister Abdullah Abdullah gegen Karsai ins Rennen schickt und in der Fahim eine führende Figur war, einen Schlag. Zugleich düpierte er aber neben der Staatengemeinschaft viele Afghanen, die Kriegsherren wie Fahim lieber im Gefängnis als an den Fleischtöpfen der Macht sehen würden.
Die Ungeduld wächst
Der Wiederaufbau macht zwar Fortschritte, kommt aber nur schleppend voran. Die Ungeduld im Volk wächst, und unzufriedene Afghanen sind leichte Beute für die Anwerber der Taliban. Trotz der stetig wachsenden Truppenstärke der ausländischen und afghanischen Sicherheitskräfte sind die Aufständischen - die die Afghanen vor einer Teilnahme an der Wahl gewarnt haben - alles andere als besiegt. Inzwischen sind rund 100.000 ausländische Soldaten am Hindukusch, ein Vielfaches der Zahl zu Einsatzbeginn. Im vergangenen Monat starben in Afghanistan mehr ausländische Soldaten als je zuvor seit dem Sturz des Taliban-Regimes. In vielen Truppenstellernationen wächst der Widerstand gegen das militärische Engagement fern der Heimat.
Gleichzeitig empfinden immer mehr Afghanen die ausländischen Truppen als Besatzer. Grund sind besonders die zivilen Opfer bei Militäroperationen, deren Zahl in diesem Jahr erneut gestiegen ist. Zwar machen die Vereinten Nationen Aufständische für die Mehrzahl der über 1000 im ersten Halbjahr getöteten Zivilisten verantwortlich. Doch immerhin mehr als 30 Prozent der Opfer gehen den Angaben zufolge auf das Konto afghanischer und internationaler Truppen.
Viele Mahnungen, kaum Konsequenzen
Dass Afghanistan im Jahr acht nach den Taliban in einem desolaten Zustand ist, ist allerdings nicht nur Karsai anzulasten. "Die Hälfte der Verantwortung trägt die internationale Gemeinschaft", sagt der Ko-Direktor des Afghanistan Analysts Network, Thomas Ruttig. Die Staatengemeinschaft hat den Wiederaufbau schlecht koordiniert und damit verzögert. Mahnungen, die Regierung müsse die Korruption endlich eindämmen, folgten kaum Konsequenzen. Die US-Armee nutzte Milizen im Kampf gegen die Taliban, statt deren Entwaffnung voranzutreiben. Besonders europäische NATO-Staaten zögerten zu lange, um dringend benötigte zusätzliche Soldaten zu entsenden.
Auch bei der Drogenbekämpfung haben sich die in Afghanistan engagierten Staaten nicht mit Ruhm bekleckert. Karsai kritisierte vor zwei Jahren: "Sie haben einfach nicht die notwendige Koordination. Einer sagt eine Sache, der andere sagt das Gegenteil. Einer sagt, 'zerstört sie' (die Mohnfelder), der andere sagt 'macht es nicht'." Tatsächlich hat sich die Staatengemeinschaft in Afghanistan bis heute nicht auf ein einheitliches Vorgehen gegen Anbau und Handel von Drogen geeinigt. Allerdings haben die Afghanen selbst bislang keinen einzigen der Drogenbarone, von denen viele Beziehungen in die Regierung hinein haben sollen, zur Rechenschaft gezogen.
Alternativlosigkeit als Problem
Trotz gebrochener Versprechen und nur weniger Erfolge: Karsai kann auf die Unterstützung vieler Paschtunen zählen, vor allem, weil er selbst zu dieser größten Bevölkerungsgruppe in Afghanistan gehört. Und es ist Karsai gelungen, aussichtsreiche Konkurrenten zu seinen Gunsten zur Aufgabe der Kandidatur zu bewegen. Als wahrscheinlich gilt, dass ihnen im Fall von Karsais Wahlsieg Regierungsposten versprochen wurden. Radikale Gegenentwürfe zu Karsai sind auch die beiden wichtigsten Herausforderer nicht: Abdullah Abdullah gehörte Karsais Kabinett früher ebenso an wie Ex-Finanzminister Ashraf Ghani.
"Die Alternativlosigkeit ist ein großes Problem", sagt Afghanistan-Experte Ruttig. "Es deutet vieles darauf hin, dass Karsai es schaffen wird." Ruttig macht aber auch "eine Grundstimmung für einen Wechsel" im Volk aus. Sollten Abdullah, Ghani und die anderen Kandidaten gemeinsam genug Stimmen bekommen, um Karsai eine absolute Mehrheit zu verwehren, dann wäre ein zweiter Wahlgang notwendig. "Im zweiten Wahlgang würde es zu einer Polarisierung kommen, und wie sich die Wähler dann verhalten, ist nicht berechenbar", sagt Ruttig. "Die Wahl kann noch spannend werden."
Quelle: ntv.de, Can Merey, dpa