Neue Mütter hat das Land "Elterntag" statt "Muttertag"
12.05.2006, 14:38 UhrDas Bild der deutschen Mutter wandelt sich. Elterngeld, die absehbare Vergreisung der Gesellschaft und der drohende Fachkräftemangel haben den Blick auf die berufstätige Mutter gelenkt. "Die Lebenslagen dieser Mütter, die schon seit Jahrzehnten vielfach belastet sind, haben erstmals ein Forum bekommen", stellt Familienforscherin Karin Jurczyk fest. Nicht das Problem sei neu, sondern nur die Betrachtungsweise. Statt Blumen zum Muttertag und feucht-fröhlicher Ausflüge am Vatertag sei die Zeit für einen "Elterntag" reif, meint die Abteilungsleiterin beim Deutschen Jugendinstitut in München.
Autorin Barbara Vinken ("Die deutsche Mutter") spricht angesichts der Politik von Familienministerin Ursula von der Leyen (CDU) sogar von einer "Revolution, die den deutschen Sonderweg beenden könnte". Dieser beruhe auf der Annahme sowohl von Müttern als auch von kinderlosen Frauen, dass eine "anspruchsvolle vollzeitige Berufstätigkeit und Kinder nicht vereinbar sind", erläutert die Feminismus-Forscherin und Literaturwissenschaftlerin. Autorin Annette C. Anton ("Raus aus der Mädchenfalle") formuliert das so: "Bei vielen Paaren schätzen beide Partner den Job des Mannes als besser oder sicherer ein, auch wenn er als freier Künstler tätig ist."
"Zum ersten Mal wird nicht mehr gestritten, ob jetzt der Vater oder die Mutter die Kinder wickelt, sondern für eine außerhäusige Kinderbetreuung gesorgt", sagt Vinken. Diese - inklusive Ganztagsschulen - sei wichtig, damit einerseits Kinder aus unterprivilegierten Schichten bessere Leistungen erreichten und andererseits Frauen überhaupt berufstätig sein könnten. "Es sieht so aus, als wenn wir uns tatsächlich auf dem Weg nach Westeuropa befinden."
Rund 55 Prozent der Frauen in Deutschland mit Kindern unter 14 Jahren waren Anfang 2005 nach Angaben des Statistischen Bundesamtes erwerbstätig, und damit weniger als beispielsweise in Frankreich, Österreich oder Großbritannien. Außerdem seien Teilzeitjobs bei deutschen Frauen häufiger, sagt Jurczyk. Etwa zwei Fünftel der Mütter minderjähriger Kinder in Deutschland arbeiteten im März 2004 Teilzeit - und ein gutes Fünftel Vollzeit.
Deutsche Mütter wirkten im Vergleich zu Müttern in Frankreich gestresster und unzufriedener, stellt der Psychologe Stephan Grünewald fest. "Die deutschen Mütter reiben sich im Perfektions-Spagat auf." Grund sei ein doppelter Anspruch: Die Mutter soll sich idealerweise rund um die Uhr um die Kinder kümmern, aber auch nach dem Vorbild der Trümmerfrau Deutschland aufbauen und sich beruflich verwirklichen. Die berufstätige Mutter gelte als Rabenmutter - ein Wort, das es in anderen Sprachen gar nicht gibt -, die Nur-Mutter als antiquiert und nicht vollwertig. Grünewald ist Geschäftsführer des Instituts für Markt- und Medienanalyse Rheingold in Köln, das psychologische Wirkungsforschung betreibt.
Parallel zur Aufwertung der berufstätigen Mutter ist eine Diskussion über die Grenzen der Emanzipation und die Rückbesinnung auf traditionelle Verhaltensweisen entbrannt. "Die Rückkehr zu alten Rollenmustern entspricht weder den gesellschaftlichen Realitäten noch den Wünschen der Männer und Frauen", meint Grünewald. Die Gesellschaft müsse mit flächendeckenden Betreuungsangeboten dokumentieren: Auch die berufstätige Frau ist eine gute Mutter.
"Es ist für immer mehr Familien auch ökonomisch notwendig, dass beide verdienen", stellt Familienforscherin Jurczyk fest. Dieses "Zweiverdienermodell" entspreche den Interessen von Männern und Frauen, brauche aber Platz für "Fürsorgearbeit" beider Geschlechter. Dabei hat Jurczyk neben den Kindern vor allem die Alten im Blick: "Es werden immer mehr ältere Menschen zu versorgen sein als Kinder."
In der Rückbesinnung auf die klassische Hausfrauen- und Mutterrolle sieht Jurczyk aber nicht nur ein "Aufbäumen von Traditionalisten". Auch selbstbewusste Frauen, die kritisch beobachtet hätten, wie ihre Mütter mit großer Anstrengung und Erschöpfung versuchten, Kinder und Karriere unter einen Hut zu bringen, wählten diesen Weg. "Es wird immer deutlicher auf eine gelebte Pluralität von Mütterleben hinauslaufen."
(Ira Schaible, dpa)
Quelle: ntv.de