Dossier

Ein Samstag in Kabul Entführung am hellichten Tag

Geiselnahmen in Afghanistan haben zugenommen, aber das hat es selbst am Hindukusch noch nicht gegeben: Am helllichten Tage, beim Mittagessen, verschleppen bewaffnete Männer am Samstag in der Hauptstadt Kabul aus einem Restaurant heraus eine Deutsche. Der Schnellimbiss liegt an einer belebten Straße, wenige Meter weiter sind eine Bäckerei und ein Gemischtwarenladen. Die vier Männer, so erzählen Geheimdienstoffiziere später am Tatort, zerren die Frau aus dem Bar.B.Q Tonight Caf in einen blauen Toyota Corolla und rasen davon. Zurück lassen sie den schockierten Begleiter des Opfers, einen Deutschen, der sofort zur Botschaft gebracht wird.

Einen Monat nach der Entführung des Bauingenieurs Rudolf B. ist damit eine zweite deutsche Geisel - und erstmals seit dem Sturz der Taliban Ende 2001 eine deutsche Frau - in der Hand von afghanischen Kidnappern. Die junge Frau, so sagen Anwohner, habe in dem Viertel Karte Char gewohnt, in dem auch der Imbiss liegt. "Sie kam jeden Tag diese Straße entlang", sagt der Gemischtwarenhändler Ziauddin, dessen Laden wenige Häuser neben dem Schnellrestaurant ist. Die Deutsche, die bei einer christlichen Hilfsorganisation arbeitet, sei dabei zu Fuß unterwegs gewesen. Sie habe zwar immer ein Kopftuch getragen, doch als Ausländerin fiel sie den Afghanen in dem Viertel, wo Neubauten zwischen Kriegsruinen von Fortschritt künden, trotzdem auf.

Auch in dem Bar.B.Q Tonight Caf soll die Deutsche bereits häufiger gegessen haben. Vor solchen Routinen - immer dieselben Wege zu gehen, regelmäßig am selben Platz gesehen zu werden - warnen Sicherheitsexperten in Krisengebieten ausdrücklich. Das macht potenzielle Geiseln berechenbar, und das macht es Entführern sehr leicht, ihre Pläne umzusetzen. Auch dem Immobilienmakler Basir Rostamzada, der ein Büro um die Ecke von dem Restaurant unterhält und lange in Mannheim wohnte, stach die Deutsche ins Auge. Er sah sie und eine weitere Deutsche abends mehrmals in der Gegend vor seinem Büro spazierengehen. "Ich habe meinem Sohn gesagt, das ist für beide gefährlich. Es ist nicht sicher, hier spazierenzugehen."

Das Restaurant, aus dem die Deutsche verschleppt wurde, ist ein einfacher afghanischer Grillimbiss. Bilder hängen keine an der Wand, nur vier Holztische stehen dort auf dem braunen Teppichboden. Hinten links hätten die Deutschen gesessen, sagen die Ermittler. Was das Bar.B.Q Tonight Caf nicht bietet, sind Sicherheitsvorkehrungen. Große Restaurants in Kabul müssen bestimmte Kriterien erfüllen, damit etwa Mitarbeiter der Vereinten Nationen dort überhaupt einkehren dürfen. Der Schnellimbiss aber hat weder bewaffnete Wachmänner noch Mauern oder Stacheldraht. Der kleine Innenraum ist von der Straße aus einsehbar. Eindringlinge können sich ihr Ziel in Ruhe aussuchen und dann einfach reinmarschieren.

Genau das taten die Geiselnehmer, bei denen es sich nach Angaben afghanischer Geheimdienstmitarbeiter um Kriminelle und nicht um radikal-islamische Taliban handeln soll, am Samstag offenbar auch. Allerdings hätte ihnen die Polizei fast einen Strich durch die Rechnung gemacht. Anwohner sagen, eine zufällig vorbeikommende Patrouille sei auf den Tumult unmittelbar nach der Tat aufmerksam geworden und habe die Verfolgung aufgenommen. Doch die Jagd der Polizei auf die Geiselnehmer beginnt mit einer schweren Panne.

Die Beamten schießen auf den Fluchtwagen, doch zumindest eine Kugel trifft den Falschen: Ein Taxifahrer wird nach Polizeiangaben im Nacken getroffen, er ist sofort tot. Die Geiselnehmer entkommen. Die Polizei leitet eine Großfahndung ein und riegelt Ausfallstraßen ab, die Internationale Schutztruppe ISAF unterstützt die Suche aus der Luft. Bis zum Abendgebet, das aus den Moscheen der Hauptstadt erschallt, wird dennoch kein Durchbruch vermeldet - weder im Fall von Rudolf B., noch in dem der jüngsten Geiselnahme.

Von Can Merey, dpa

Quelle: ntv.de

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