Fünf Jahre nach der Revolution Enttäuschung in Georgien
21.11.2008, 10:27 UhrEs war eine kalte Novembernacht, als vor fünf Jahren zehntausende Menschen vor Freude ausgelassen in den Straßen von Tiflis tanzten. Berauscht waren sie von der Hoffnung auf ein besseres Leben. Denn erst kurz zuvor waren die Georgier vom politischen Heißsporn Michail Saakaschwili auf einen Weg zu mehr Wohlstand und einer stärkeren Anbindung an den Westen eingeschworen worden. Während damals die Zuversicht noch groß war, herrscht zum fünften Jahrestag der friedlichen Rosen-Revolution Ernüchterung. Nicht erst seit dem verheerenden Krieg mit Russland sind die Menschen von den einstigen Revolutionsführern um den heutigen Präsidenten Saakaschwili enttäuscht.
Wochenlang versammeln sich im November 2003 zehntausende Georgier in den Straßen der Hauptstadt, um gegen das Ergebnis der von Beobachtern als manipuliert kritisierten Parlamentswahl zu protestieren. Am 22. November, als Präsident Eduard Schewardnadse die neue Sitzungsperiode eröffnen will, stürmen Anhänger der Opposition unter der Führung von Saakaschwili, dem einstigen Ziehsohn Schewardnadses, in das Parlament. In ihren Händen halten sie Rosen - die Revolution bekommt ihren Namen. Schewardnadse nimmt am Tag darauf seinen Hut.
Enorme Veränderungen in kurzer Zeit
Die Georgier machen den 36-jährigen Saakaschwili zu ihrem Präsidenten. Dieser krempelt schnell die Ärmel hoch und feilt an ehrgeizigen Reformen. Der in den USA ausgebildete Jurist kämpft gegen die Korruption, indem er die bestechliche Einheit der Verkehrspolizei auflöst. Er vervierfacht den Staatshaushalt und sorgt für einen Rekordwert bei den ausländischen Investitionen. Zugleich wendet er sich vom traditionellen Partner Russland ab und knüpft engere Kontakte zu westlichen Regierungen. Vor allem die Bande zu den USA werden eng. US-Präsident George W. Bush würdigt Georgien bei einem Besuch im Jahr 2005 als "Leuchtturm der Demokratie".
Georgien beginnt eine Erfolgsgeschichte zu schreiben. Mit der Wirtschaft geht es steil bergauf. Armut und Kriminalitätsrate sinken merklich. "In kurzer Zeit gab es enorme und spürbare Veränderungen", sagt Giorgi Kandelaki, Abgeordneter in Saakaschwilis Partei Vereinte Nationale Bewegung.
Der Krieg kostet Georgien seine Fortschritte
Doch für viele Georgier erliegt Saakaschwili immer mehr einem Rausch für mehr wirtschaftliche Reformen. Für sie vergisst er vor lauter Tatendrang zugunsten der Ökonomie die Ärmsten des Landes. Als der Präsident in ihren Augen immer autoritärer wird, fordern sie im Herbst 2007 mit riesigen Protestmärschen durch Tiflis seinen Rücktritt. Saakaschwili lässt die Massenproteste gewaltsam niederschlagen. Obwohl sein Image als friedlicher Rosen-Revolutionär reichlich angekratzt ist, gewinnt Saakaschwili im Januar die vorgezogene Präsidentschaftswahl. Die Opposition wirft ihm Wahlbetrug vor. Aus Sorge über den Zustand der Demokratie verweigern die NATO-Staaten Georgien ein halbes Jahr nach den Unruhen den direkten Weg in das Bündnis.
Wieder wenige Monate später versucht Tiflis mit einer Militärattacke, die abtrünnige Provinz Südossetien wieder unter Kontrolle zu bringen - ein Schritt mit desaströsen Folgen. Russland, das sich als Schutzmacht Südossetiens sieht, erwidert den Angriff, zwingt die vergleichsweise winzige georgische Armee in die Knie und besetzt weite Teile des Landes. Der Krieg kostet Georgien seine Fortschritte bei der Anbindung an den Westen, denn trotz Hilfszusagen und einer Verurteilung des russischen Vorgehens bekommt Saakaschwili von den westlichen Staatschefs nur zögerlich Unterstützung. Zudem hagelt es auch international Kritik.
"Die Erwartungen der Rosen-Revolution wurden nicht erfüllt, weder im Hinblick auf die Stärkung der Demokratie noch auf einen Beitritt zur NATO und der EU", sagt der politische Beobachter Artschil Gegeschidse in Tiflis. Das Land sei nach den Ereignissen in den vergangenen Monaten "völlig desorientiert". "Das internationale Vertrauen in Georgien ist auf einem historischen Tiefstand."
Quelle: ntv.de, Michael Mainville, AFP