Dossier

Mauer-Erinnerungslandschaft Erster Abschnitt nun zugänglich

Die Spuren der Mauer sind rar geworden in Berlin. In der Bernauer Straße entsteht auf dem früheren Todesstreifen eine Gedenkstätte unter freiem Himmel.

Im Berliner Fenster des Gedenkens auf dem früheren Todesstreifen werden 96 Fotos von Mauer-Opfern gezeigt.

Im Berliner Fenster des Gedenkens auf dem früheren Todesstreifen werden 96 Fotos von Mauer-Opfern gezeigt.

(Foto: dpa)

Auf der Geschichte wächst Gras. Doch vergessen ist nichts: Wo in Berlin die Mauer in der Bernauer Straße verlief, steht jetzt umgeben von Rasen ein großer rostiger Stahlblock mit Fotos von Menschen, die durch das DDR-Grenzregime starben. Originale Mauerteile, Wege und Fundamentreste erinnern auf dem früheren Todesstreifen an die Opfer der Teilung. Knapp 20 Jahre nach der Wiedervereinigung wird an diesem Freitag nun der erste Abschnitt einer riesigen Erinnerungslandschaft unter freiem Himmel an der Bernauer Straße - dem einstigen Symbol der deutschen Teilung - eröffnet.

Aus dem Fenster der Erinnerung blickt auch der kleine Andreas Senk. Der Kleine aus West-Berlin, zufällig ins Wasser gefallen, ertrank 1966 in der Spree vor den Augen tatenloser DDR-Grenzposten. Mindestens 136 Todesopfer an der Berliner Mauer haben Wissenschaftler aufgelistet, darunter sind auch einige DDR-Grenzsoldaten. Für neu entdeckte Fälle gibt es noch freie Nischen in dem Erinnerungsfenster. Die Flüchtlinge kamen aus allen Teilen der DDR.

Häuser im Osten, Bürgersteig im Westen

In der Bernauer Straße verlief die Mauer genau an der östlichen Häuserfront. Die bewohnten Häuser gehörten zum Osten, der Bürgersteig zum Westen. In den ersten Tagen nach dem Mauerbau vom 13. August 1961 sprangen noch Menschen aus den Fenstern. Manche schafften den Sprung in die Freiheit nicht. Auch das Bild von dem DDR-Soldaten, der in der Bernauer Straße über Stacheldraht in den Westen sprang, ging um die Welt.

Eisenstangen erinnern an der Gedenkstätte Berliner Mauer in Berlin an den Verlauf der ehemaligen innerdeutschen Grenzmauer.

Eisenstangen erinnern an der Gedenkstätte Berliner Mauer in Berlin an den Verlauf der ehemaligen innerdeutschen Grenzmauer.

(Foto: APN)

Besucher können auf dem ersten, einen Hektar großen Abschnitt an Informationsstelen mehr über das Leben der Opfer und die 155 Kilometer lange Berliner Mauer erfahren. Auch der Appell von Willy Brandt "an alle Funktionäre des Zonenregimes" kurz nach dem Mauerbau vom 13. August 1961 ertönt: "Lasst euch nicht zu Lumpen machen!"

Eintritt frei - Tag und Nacht

"Aus dem Tatort wird ein Lern-, Erinnerungs- und Gedenkort. Wir erzählen die Geschichten der Menschen dort, wo sie passiert sind", sagt der Direktor der Stiftung Berliner Mauer, Axel Klausmeier. Bis 2012 soll auf dem 1,3 Kilometer langen früheren Grenzareal die Geschichtslandschaft auf 4,4 Hektar fertig sein, zu besichtigen Tag und Nacht, ohne Eintritt. Etwa 28 Millionen Euro fließen von Bund, Land und der EU.

Kulturstaatsminister Bernd Neumann würdigte die Gedenkstätte als einen Ort, um die Geschichte der Teilung nachvollziehbar zu machen. Die nachgeborenen Generationen müssten für Unrecht und menschliches Leid sensibilisiert werden. "Sie sollen verstehen, dass Freiheit und Demokratie nicht selbstverständlich sind", sagte Neumann.

Die tonnenschwere Konstruktion aus rostigem Stahl ist eines der zentralen Elemente der künftigen Mauer-Erinnerungslandschaft unter freiem Himmel in der Bernauer Straße.

Die tonnenschwere Konstruktion aus rostigem Stahl ist eines der zentralen Elemente der künftigen Mauer-Erinnerungslandschaft unter freiem Himmel in der Bernauer Straße.

(Foto: APN)

Schon zum 20. Jahrestag des Mauerfalls am 9. November 1989 wurde das neue Besucherzentrum eröffnet - ebenfalls mit einer Hülle aus rostigem Stahl. Es wurde wieder das Material eingesetzt, das schon bei dem nationalen Denkmal zur Erinnerung an die Teilung in der Bernauer Straße verwandt wurde. Die künftige Erinnerungslandschaft erstreckt sich zu beiden Seiten des Mahnmals.

"Gedenklandschaft von nationalem Rang

Heftig war über die Erinnerungslandschaft diskutiert worden, die erst seit ein paar Jahren im Mauer-Gedenkkonzept des rot-roten Berliner Senats verankert ist. In der Nachwende-Euphorie waren große Teile der verhassten Mauer abgerissen, geschreddert oder in alle Welt verkauft worden. Erst nach und nach kam die Erkenntnis, dass auch Zeugnisse der Geschichte gebraucht werden. Doch wie mit den Resten umgehen? Die Grenzanlagen wieder aufgebauen? Gehen Touristen nicht lieber in das Museum am Checkpoint Charlie, wo es mehr Geschichte zum Anfassen gibt - Geschichts-Disneyland hin oder her? Ist die Bernauer Straße zu abgelegen für die großen Besucherströme?

Historiker Klausmeier ist überzeugt, dass die Gedenklandschaft in der Bernauer Straße "nationalen Rang" hat. Es werden noch mehr Menschen aus aller Welt kommen, schon im Vorjahr habe es einen Boom beim zeitgeschichtlichen Interesse gegeben. Er verweist auf die "materielle Spurendichte" in der Bernauer Straße. Das sei einmalig und spreche für sich. "Wir rekonstruieren hier gar nichts."

Die Erweiterung der Mauer-Gedenkstätte auf einem 1,3 Kilometer langen früheren Grenzstreifen soll im Kern bis zum 50. Jahrestag des Mauerbaus 2011 fertig sein.

Die Erweiterung der Mauer-Gedenkstätte auf einem 1,3 Kilometer langen früheren Grenzstreifen soll im Kern bis zum 50. Jahrestag des Mauerbaus 2011 fertig sein.

(Foto: APN)

Die Architekten Christian Fuchs und AW Faust legten stattdessen Spuren frei. Wo Originalteile fehlen, wurde das zum Beispiel mit Stahlbändern deutlich gemacht. "Der Besucher wird mit der authentischen Substanz konfrontiert", sagen die Gestalter. Es ist ein Ort "höchster emotionaler Dichte und Verlorenheit". Das könnte auch Schüler in den Bann ziehen.

Auch ein Stückchen weiter, in der Kapelle der Versöhnung wird Geschichte lebendig. Sie wurde auch mit Bruchstücken auf dem Fundament der gesprengten Kirche errichtet, die einst im Todesstreifen stand. Auf Befehl der DDR-Oberen wurde das Gotteshaus 1985 in die Luft gejagt, weil es die Grenze so "unübersichtlich" machte. Jeden Tag wird dort eine Kerze für eines der Maueropfer entzündet.

Quelle: ntv.de, Jutta Schütz, dpa

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