Dossier

Sturm auf die Rote Moschee Extremisten nicht verstummt

Die "Operation Stille" sollte die Extremisten zum Schweigen bringen. Vor einem Jahr begann der Sturm der Armee auf die Rote Moschee in Islamabad. Eine Woche lang hatten radikale Koranschüler und Aufständische zuvor das Gotteshaus und die angrenzende Madrassa im Herzen der pakistanischen Hauptstadt besetzt gehalten, umzingelt von Soldaten. Zwei Tage dauerte der letzte Kampf, die Islamisten leisteten hartnäckig Widerstand. Letztlich hatten sie keine Chance. Doch die blutigsten Kämpfe in der Geschichte Islamabads haben die radikalislamischen Aufständischen im Land nicht verstummen lassen - im Gegenteil: Sie sind heute mächtiger denn je.

Nach dem Sturm der Armee ließ die Regierung die Rote Moschee weiß streichen. Doch der Hass vieler Besucher des Gotteshauses ließ sich nicht übertünchen. Beim letzten Freitagsgebet vor dem Jahrestag des Angriffs erinnert der Imam an Abdul Rashid Ghazi, der die Koranschule gemeinsam mit seinem festgenommenen Bruder geleitet hatte und beim Armeeangriff getötet worden war. "Wir sollten ihm darin folgen und daran glauben, wie er sein Leben lebte und wie er sein Leben gab", ruft der Vorbeter hunderten Gläubigen zu. "Wenn wir das nicht machen, wird sein Opfer umsonst gewesen sein." Ghazi hatte vor seinem Tod zur "islamischen Revolution" in der Atommacht Pakistan aufgerufen.

Dramatische Auswirkungen

Während die Männer in der Moschee beten, haben sich draußen einige Dutzend junge Frauen versammelt. Sie tragen schwarze Schleier, die nur die Augen freilassen. Die Trauernden besuchten einst die Koranschule für Mädchen, die an das Gotteshaus angeschlossen war. Die Regierung ließ die Madrassa dem Erdboden gleichmachen. Fisa Shamshir gehörte zu jenen, die den belagerten Gebäudekomplex noch vor der Erstürmung verlassen konnten. "Wir dachten, wir seien vielleicht von Amerikanern oder Nicht-Muslimen eingekesselt", erinnert sich die heute 21-Jährige. "Die ersten zwei, drei Tage waren wir geschockt und konnten nicht glauben, dass diejenigen, die uns angriffen, unsere eigenen (Glaubens-)Brüder waren."

Sie bedauere die Opfer unter den Extremisten bei den Kämpfen um die Rote Moschee nicht, sagt Shamshir - schließlich seien ihre "Brüder und Schwestern" zu Märtyrern geworden. "Ich bedauere diejenigen, die fromme Menschen getötet haben, nicht Hunderte davon, sondern Tausende." Mindestens 5000 Koranschüler seien während der Belagerung durch die Armee in dem Komplex gewesen, 1700 davon hätten sich ergeben. Wo sind die anderen? Nach Regierungsangaben starben rund 100 Menschen, die meisten von ihnen Extremisten. Pakistanische Medien zitierten dagegen Quellen, die von deutlich mehr Toten sprachen. Überprüfen ließ sich das nicht. Journalisten wurde der Zugang verwehrt, bis die Toten weggeschafft waren.

Die "Operation Stille" hat bis heute dramatische Auswirkungen auf Pakistan. Der Unmut im Volk über die Militäraktion trug zur Niederlage der regierenden Muslim-Liga (Quaid) bei der Parlamentswahl im Februar bei. Der frühere Militärmachthaber Pervez Musharraf, der den Sturm auf die Rote Moschee angeordnet hatte, wurde nach der Wahl zur Machtteilung gezwungen. Kurz vor dem Jahrestag des Sturms auf das Gotteshaus demonstrierten dort am vergangenen Sonntag mehr als 12.000 Islamisten. Sie forderten unter anderem, Musharraf zu hängen. Am Schluss der Kundgebung sprengte sich ein Selbstmordattentäter in die Luft, 20 Menschen starben, die meisten davon Polizisten.

Ziel der Aufständischen: Einführung der Scharia

Nach der "Operation Stille" erklärte der Anführer der Taliban- Bewegung Pakistans (TTP), Baitullah Mehsud, der Regierung den "Krieg". Seine Männer überzogen das Land mit Anschlägen. Mehsud hat an der Grenze zu Afghanistan nach Schätzung der Armee inzwischen rund 2000 Kämpfer unter Waffen. Die einstige Koranschülerin Shamshir hält die Gewalt Mehsuds für richtig. Sie zitiert ein Sprichwort in der Landessprache Urdu, das in etwa besagt, dass manche Menschen nur mit Fußtritten reformiert werden könnten.

Mehsud hat seinen Einfluss im Nordwesten Pakistans im vergangenen Jahr deutlich ausgedehnt, und er ist nicht der einzige Rebellen-Anführer im Land. Die Aufständischen der verschiedenen militanten Gruppen eint ein Ziel: Die Einführung der Scharia, der islamischen Rechtsordnung. Dafür hat auch Abdul Rashid Ghazi bis zu seinem Tod gekämpft. Der Sturm auf die Rote Moschee habe sich als "Katastrophe" entpuppt und der islamistischen Bewegung Zulauf verschafft, sagt der Analyst Rasul Baksh Rais. "Jetzt sehen wir die tragischen Folgen, die unkontrollierbar und unumkehrbar sind."

Von Can Merey, dpa

Quelle: ntv.de

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