Dossier

Drei Kugeln auf Rudi Dutschke Funken im Pulverfass

Im geschichtsträchtigen Jahr 1968 gab es auch ein "Frühjahr der Attentate". Am 11. April wurde Rudi Dutschke auf dem Berliner Kurfürstendamm niedergeschossen und lebensgefährlich verletzt. Das war nur eine Woche nach der Ermordung des farbigen Bürgerrechtlers Martin Luther King in den USA und rund zwei Monate vor den tödlichen Schüssen auf Robert F. Kennedy. Dutschke erlag den Spätfolgen des Attentats elf Jahre später im Alter von 39 Jahren.

Jene "drei Kugeln auf Rudi Dutschke", an die der Liedermacher Wolf Biermann später in einem Lied erinnerte, lösten die schwersten Straßenkrawalle in Deutschland seit der Weimarer Republik aus, wenn man von dem Arbeiteraufstand in Ostberlin am 17. Juni 1953 absieht. Dennoch notierte Dutschke später nüchtern, das Attentat auf ihn sei "für viele Jugendliche kurzfristig mobilisierend und langfristig abschreckend" gewesen.

"Soldaten, Soldaten!"

An jenem Gründonnerstag war der 23-jährige Gelegenheitsarbeiter Josef Bachmann mit dem Interzonenzug aus München am Bahnhof Zoo eingetroffen. Er hatte sich mit Zeitungsschlagzeilen wie "Stoppt Dutschke jetzt!" oder Plakaten wie "Dutschke Volksfeind Nr.1" im Kopf auf den Weg nach Berlin gemacht, mit einer Pistole in einem Schulterhalfter. "Wissen Sie, wo Rudi Dutschke wohnt?" fragt er den Taxifahrer, der ihn zur Zentrale des Sozialistischen Deutschen Studentenbundes (SDS) am Kurfürstendamm 140 fährt.

Um 16.30 Uhr sieht Bachmann dort einen Mann mit einem Damenfahrrad aus dem Hausflur kommen. Laut späterem Gerichtsprotokoll kommt es zu einem kurzen Wortwechsel: "Sind Sie Rudi Dutschke?" "Ja." Mit den Worten "Du dreckiges Kommunistenschwein!" schießt Bachmann aus eineinhalb Meter Entfernung mit einem Neun-Millimeter-Trommelrevolver dreimal auf den 28-jährigen Dutschke, der zuerst in die rechte Wange getroffen wird. Der "SDS-Ideologe", wie er von den Medien damals genannt wurde, stürzt vom Fahrrad und ruft unter anderem "Soldaten! Soldaten!". Bachmann legt noch einmal an und schießt Dutschke jetzt in die obere Kopfhälfte und in eine Schulter.

Dutschke notierte nach seiner teilweisen Genesung, wie seine Frau Gretchen in ihrer Biografie ("Wir hatten ein barbarisches, schönes Leben") festhält: "Im April 1968 auf dem Kudamm zu warten, war für mich ein gewisses Risiko. Aber die wahnwitzige Hetze war schon im März abgeflacht, und zum anderen hatte ich für Ho, unser Baby, was zu holen."

Doch nicht davongekommen

Bachmann flüchtete nach dem Attentat in den Keller eines nahe gelegenen Neubaus und wurde nach einem Feuergefecht mit der Polizei schwer verletzt festgenommen. Er wurde ins Klinikum Westend gebracht, wo sein Opfer bereits stundenlang notoperiert wurde. Der schwierigste Eingriff war die Entfernung eines Projektils aus dem Schädel, das das Hirngewebe beschädigt hatte. Dutschke überlebte, litt aber an Sprach- , Lese- und Sehstörungen und schweren epileptischen Anfällen, von denen ihm einer am Heiligabend 1979 im dänischen Aarhus in der Badewanne auch zum tödlichen Verhängnis werden sollte.

In der Trauerkundgebung am 3. Januar 1980 in der Freien Universität Berlin (FU), zentraler Schauplatz der Studentenrevolte der "68er" erinnerte sich der Freund und Psychologe Thomas Ehleiter an die ersten Lernbemühungen Dutschkes: "Rudi erkannte, dass ihm jener Tätigkeitsbereich, der für seine psychische Existenz als politisch tätiger Mensch ganz besonders wichtig war, nämlich das Sprechen von Sprache, durch die Schussverletzung schwer beeinträchtigt und zum Teil zerstört worden war."

Wasserwerfer gegen den Zorn der Studierenden

Das Attentat hatte aber auch den Funken für die Lunte am Pulverfass des damals gereizten Klimas zwischen rebellischer Jugend und "Establishment" entzündet. Die Demonstranten, die seit Monaten lautstark auf den Straßen gegen den Vietnamkrieg protestierten, wollten nicht mehr nur Hörsäle besetzen und Vorlesungen sprengen gegen den "Muff von tausend Jahren unter den Talaren". Der zunehmend gewalttätige Zorn richtet sich jetzt immer offener gegen alle Staatsgewalt und einen Teil der Presse, vor allem gegen den Axel-Springer-Verlag ("Enteignet Springer!"), dessen Auslieferungsfahrzeuge behindert oder in Brand gesetzt werden. An den Ostertagen toben Straßenschlachten. Die Polizei geht gegen die Demonstranten mit Schlagstöcken und Wasserwerfern vor.

Die Masse der Bevölkerung war verwirrt und aufgeschreckt durch diese massive Protestwelle eines Teils der Jugend. Bundespräsident Gustav Heinemann mahnte zur Besonnenheit, stellte aber auch die Frage, ob "wir Älteren den Kontakt mit Teilen der Jugend verloren haben oder ihr unglaubwürdig geworden sind".

Täter zeigt Reue

Bachmann wird später vor Gericht sagen: "Ich möchte darauf wetten, dass sich 70 Prozent der Bevölkerung im Stillen die Hände reiben über meine Tat." Er selbst zeigte sich in einem Briefwechsel mit seinem Opfer reuevoll. Im März 1969 wurde er zu sieben Jahren Zuchthaus verurteilt. Nach mehreren Selbstmordversuchen erstickte sich Bachmann am 24. Februar 1970 mit einer Plastiktüte in seiner Zelle.

Dutschkes jüngster Sohn Rudi-Marek, wenige Monate nach dem Tod seines Vaters geboren, sagt heute zu dessen politischem Vermächtnis: "Das Engagement der nachgewachsenen Generationen ist von dieser Protesthaltung bis heute beeinflusst. In welcher Form sie sich artikuliert, auf der Straße oder medial zum Beispiel in Online-Gemeinschaften, hängt von den gesellschaftlichen Umständen und Verhältnissen ab." Er kennt auch die Prognose seines Vaters aus den 70er Jahren, dass "die Frage einer sozialistischen Partei historisch fällig und überfällig" sei und eine solche Partei "in der Tradition der Neuen Linken" mit fünf bis sieben Prozent rechnen könne.

Von Wilfried Mommert, dpa

Quelle: ntv.de

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