Türkei und Armenien Fußball-Diplomatie bricht das Eis
04.09.2008, 13:19 UhrTauwetter in den Beziehungen zwischen Armenien und der Türkei: Als erster türkischer Präsident will Abdullah Gül am Wochenende in die armenische Hauptstadt Eriwan reisen. Fußball-Diplomatie hat das Eis zwischen den regionalen Erzfeinden gebrochen, denn Gül wurde von seinem Amtskollegen Sersch Sarkissjan anlässlich eines Spiels der Nationalmannschaften beider Staaten eingeladen. Doch die beiden Staatschefs wollen auch mindestens eine Stunde über Politik reden.
Die Türkei und Armenien unterhalten keine diplomatischen Beziehungen. Armenien fordert von der internationalen Gemeinschaft, Massaker an Armeniern im Osmanischen Reich als Völkermord anzuerkennen. Der Vorwurf des Genozids wird von der Türkei heftig bestritten. Ein zweiter Streitpunkt ist die von Armenien besetzte Kaukasus-Enklave Berg-Karabach, die völkerrechtlich zu Aserbaidschan gehört.
Ein Fußballspiel kann Blockaden auflösen
Politik der Türkei ist es bisher, Armenien möglichst zu isolieren. Strategische bedeutende Infrastrukturprojekte wie Pipelines für Öl und Gas, Eisenbahnverbindungen und eine geplante Kaukasus-Autobahn werden unter Umgehung Armeniens geplant. Seit 15 Jahren blockiert die Türkei außerdem die Grenze zu Armenien, um gegen die Besatzung von Berg-Karabach zu protestieren.
Doch im Schatten der Kaukasus-Krise haben Ankara und Eriwan Signale der Entspannung gegeben. "Der Besuch anlässlich dieses Spiels kann ein neues Klima der Freundschaft schaffen", teilte das türkische Präsidialbüro zu der geplanten Reise Güls mit. "Deswegen hat der Präsident die Einladung angenommen. Dieses Spiel kann Blockaden auflösen, die eine Annäherung von zwei Völkern mit gemeinsamer Geschichte behindern."
Gül will Chance ergreifen
Bemühungen um eine schrittweise Normalisierung laufen bereits länger. In Bern in der Schweiz habe es eine Serie von Geheimtreffen gegeben, bei denen Vertreter beider Staaten Gespräche aufgenommen haben, hatte die türkische Tageszeitung "Hürriyet" im Juli berichtet. Die USA und die EU seien informiert worden, dass diese in guter Atmosphäre verlaufen seien.
Sarkissjan erklärte im August in einem Interview, eine türkische Anerkennung eines Völkermordes sei nicht Voraussetzung für die Verbesserung der Beziehungen. Eriwan sei bereit, diplomatische Beziehungen ohne Bedingungen aufzunehmen. Präsident Gül will diese Chance für eine Annäherung ergreifen. Ernstzunehmende Kritik kommt eigentlich nur von der oppositionellen Republikanischen Volkspartei (CHP), die unter anderem davor warnt, Aserbaidschan zu verprellen.
Trainer Terim warnt vor großen politischen Erwartungen
Dagegen weist die der islamisch-konservativen Regierung von Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan nahestehende Tageszeitung "Zaman" darauf hin, dass sich die Lage auch wegen des Krieges in Georgien verändert hat. Weil die Grenze nach Armenien geschlossen sei, müsse die Türkei auf Georgien als einziges Tor zum Kaukasus setzen. Türkisch-armenische Geschäftsleute riefen dazu auf, die Blockade Armeniens angesichts der neuen Lage zu überdenken.
Vor dem Spiel am Wochenende warnt der türkische Fußball-Nationaltrainer Fatih Terim, das Match mit politischen Erwartungen zu überladen. Die Spieler sollten sich auf eine sportliche Auseinandersetzung konzentrieren. Terim: "Das ist ein Spiel. Es ist kein Krieg."
Quelle: ntv.de, Carsten Hoffmann, dpa