Dossier

Gefräßige Kohlegrube Garzweiler verschlingt Dörfer

Die riesigen Bagger des Tagebaus Garzweiler II fressen sich langsam Richtung Westen vor. Zu den jüngsten Opfern der Braunkohle-Grube gehört ein Teilstück der Autobahn 44 und der kleine Ort Otzenrath zwischen Mönchengladbach, Aachen und Köln. Fast alle 1800 Einwohner des niederrheinischen Dorfes haben ihre Heimat zähneknirschend verlassen und bauen sich nun im fünf Kilometer nördlich gelegenen Neu-Otzenrath eine neue Existenz auf.

7600 verlieren ihre Heimat an die Kohlegrube

Weil die Bodenschätze des Tagebaus Garzweiler I östlich der A 44 erschöpft sind, dringt der Energie-Konzern RWE Power nun allmählich in das deutlich größere Areal Garzweiler II östlich der Trasse vor. Alles, was dabei im Weg steht, wird dem Erdboden gleichgemacht. 7600 Menschen aus 13 Ortschaften müssen in den nächsten Jahren umsiedeln. Auf ihre Häuser, die Kirchen, Turnhallen und Schulen wartet die Abrissbirne. Auch eine Kommunalverfassungsbeschwerde der Stadt Erkelenz, der der Verlust eines Drittels ihrer Fläche droht, konnte die Ausweitung des Tagebaus nicht aufhalten.

Die Ruhe der Toten wird gestört

Als die Umsiedlung Otzenraths 1997 beschlossen wurde, stemmten sich besonders die Älteren der 800 Jahre alten Gemeinde gegen die Entscheidung. Dass die altbekannten Straßennamen in das zu gründende Neu-Otzenrath übernommen werden sollten, war ein schwacher Trost. Eine betagte Dame weigerte sich hartnäckig: "Ich geh da nicht rüber." Kurze Zeit später starb die Frau und wurde auf dem Alt-Otzenrather Friedhof beerdigt. Nun wird ihr Leichnam doch in das ungeliebte Neu-Otzenrath umgebettet.

Otzenrath fühlt sich von der Kirche im Stich gelassen

Die RWE Power entschädigt alle, die von dem 4800 Hektar großen Gebiet Garzweiler II vertrieben werden. Auch wenn einige Landwirte ein gutes Geschäft machen, überwiegt der Unmut, weil die Zahlungen teilweise nicht ausreichen, um ein neues Haus zu bauen. Doch der Zorn der Otzenrather richtet sich auch auf eine ganz andere Institution, die sie eigentlich auf ihrer Seite wähnten: Das Bistum Aachen verweigert den Wiederaufbau der Kirche in Neu-Otzenrath, obwohl es von RWE Power für die anfallenden Kosten entschädigt wird. Die Baupläne waren schon gezeichnet, als die katholische Kirche überraschend das Projekt strich – aus Geldnot, wie es hieß. Auf ihrer Internet-Seite (www.otzenrath.de) machen die schwer gebeutelten Otzenrather ihrem Ärger Luft: "Die Enttäuschung sitzt immer noch tief in den Seelen der Bevölkerung, hat man die Kirche doch immer als Verbündeten verstanden."

Sieben Kilometer der A 44 verschwinden von der Karte

Auch die Autobahn muss dem Braunkohle-Tagebau weichen. Das knapp sieben Kilometer lange Teilstück der A 44 zwischen Jackerath und dem Kreuz Holz ist seit einigen Tagen in beide Richtungen komplett gesperrt. Der Abschnitt bildet die Grenze zwischen Garzweiler I und II. Seit der Sperrung nutzt der Tagebau die A 44 noch kurze Zeit für den Transport, irgendwann wird sie aber abgebaggert und ganz verschwinden. Die beiden Ausweichautobahnen 61 und 46 sind bereits auf zum Teil sechs Spuren verbreitert worden, um den umgeleiteten Verkehr aufnehmen zu können. Wenn sich die Bagger künftig wie geplant voranschaufeln, erreichen sie in 15 Jahren die frisch ausgebaute A 61, die dann ebenfalls von der Landkarte verschwindet. Die jetzt für den Abriss freigegebene A 44 soll bis dahin wieder neu errichtet werden, um dann im Gegenzug den Verkehr der A 61 zu übernehmen. Insgesamt schlägt das Hin und Her mit 45 Millionen Euro zu Buche. Die RWE-Power trägt sämtliche Kosten für die Abriss- und Neubauarbeiten.

1,3 Milliarden Tonnen Kohle schlummern in der Erde

Unter der Erde von Garzweiler II schlummern 1,3 Milliarden Tonnen Braunkohle. Bis 2045 will RWE Power in dem Tagebau jährlich 30 bis 40 Millionen Tonnen fördern. Um an die drei etwa 40 Meter starken Flöze in bis zu 160 Metern Tiefe heranzukommen, müssen die Schaufelradbagger das Fünffache der Kohlemenge an Kies und Sand beiseite räumen. Fünf nahe gelegene Kraftwerke verfeuern den Brennstoff zur Stromerzeugung. 40 Prozent des nordrhein-westfälischen und ein Viertel des bundesweiten Strombedarfs wird durch Braunkohle gedeckt. In NRW wird auch noch an den Standorten Inden und Hambach gefördert. Auch in der Lausitz und um Leipzig hat der Tagebau Mondlandschaften geschaffen, die zum großen Teil bereits renaturiert wurden und heute als Naherholungsgebiete dienen.

Von Johannes Christ

Quelle: ntv.de

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