Was sagen die anderen Georgien enttäuscht
08.11.2007, 21:34 UhrGeorgiens Präsident Saakaschwili hat nach der Verhängung des Ausnahmezustandes überraschend vorgezogene Präsidentenwahlen für den 5. Januar 2008 angesetzt. Zuvor war die Polizei gewaltsam gegen Protestanten vorgegangen.
"Der Georgier Stalin dürfte sich im Grabe umdrehen vor Freude", vermutet der "Nordkurier" aus Neubrandenburg. "Saakaschwili agiert nicht wie ein frei gewählter Präsident, sondern wie ein Despot." Dabei sei er angetreten, um die autoritäre Herrschaft seines Vorgängers Schewardnadse zu beenden. "Die Krise ist hausgemacht, sie kann nur in Georgien gelöst werden, und zwar mit demokratischen Mitteln. Dies hätten die USA, deren treuester Verbündeter Saakaschwili ist, dem kaukasischen Hitzkopf längst klarmachen müssen."
Ähnlich sieht der "Kölner Stadtanzeiger" die Situation: "Selten hat sich ein auf der Woge hoher Zustimmung ins Amt gekommener Staatschef so schnell demontiert wie Georgiens Präsident Saakaschwili. Zwar ist es möglich, ja wahrscheinlich, dass Russlands Geheimdienste aktiv versuchen, den in Moskau verhassten Präsidenten zu stürzen. Doch nach den Massenprotesten in Tiflis müsste sich Saakaschwili fragen, was er selbst alles falsch gemacht hat. Und das ist eine Menge: Vom Beseitigen demokratischer Rechte über das Vorgehen gegen unabhängige Richter bis hin zum Bruch des Versprechens, Georgien in eine parlamentarische Demokratie zu führen. Statt Fehler einzuräumen, hat der Präsident den Einsatz von Tränengas und Schlagstöcken befohlen."
Der "Reutlinger General-Anzeiger" hält Misstrauen für angebracht: Saakaschwili habe sein Amt "mit ungeheurer Machtfülle ausgestattet. Er ist zutiefst überzeugt davon, dass das Wohl Georgiens untrennbar mit seiner Person verbunden ist. Dass das Volk ihn wiederwählt, ist unwahrscheinlich geworden, und genau das macht die Sache gefährlich. Der Westen muss daher mit Argusaugen beobachten, ob der legendäre Mann von Tiflis die Demokratie auch um den Preis der eigenen Abwahl verteidigt."
"Die Staatsgewalt hinterlässt verbrannte Erde." Schreiben die "Westfälischen Nachrichten" aus Münster. Saakaschwili habe die Bodenhaftung verloren und Georgien damit an Vertrauenswürdigkeit eingebüßt. Georgien werde "ein unsicherer Kantonist bleiben", so das Blatt. "Und in Moskau wird man sich darüber ganz gewiss die Hände reiben."
Auch die "Stuttgarter Nachrichten" verweisen auf die größeren politischen Zusammenhänge: "Gewiss, Georgien ist ein kleines Land mit nicht einmal fünf Millionen Einwohnern, doch der Welt dürfen die Ereignisse dort nicht gleichgültig sein: Es ist ein strategisch wichtiger Pufferstaat zwischen dem Nato-Land Türkei und Russland, zudem ein bedeutendes Transitland für Öllieferungen. Die EU und die Nato haben allen Grund, sich angesichts der Ereignisse in Tiflis besorgt zu zeigen."
Die "Berliner Zeitung" zieht enttäuscht Bilanz: "Entgegen den hochgesteckten Erwartungen ist aus Georgien nach der Rosenrevolution leider kein Leuchtturm der Demokratie geworden. Was als breite Volksbewegung begann, mündete in einem bloßen Austausch der herrschenden Familienclans. Was wirklich wichtig ist, vollzieht sich außerhalb der demokratischen Instanzen und oftmals im Gegensatz zu den offiziell deklarierten und angeblich für alle geltenden Regeln. Kaum entwickelt sind dagegen formale Mechanismen und allseits respektierte Institutionen für den Interessenausgleich und eine friedliche Lösung von Konflikten. Deshalb hat Saakaschwili sehr schnell kein anderes Mittel mehr gewusst und die Polizei auf die Straße geschickt. Damit kann er den Protest abwürgen. Die zu einem großen Teil hausgemachten Probleme wird er so aber nicht lösen."
Quelle: ntv.de