n-tv.de Interview Gewalt statt Schweigen
20.05.2008, 14:25 UhrBei einer regelrechten Jagd auf Ausländer sind in Südafrika in den vergangenen Tagen mehr als 20 Menschen getötet worden. Seit dem Beginn der Gewalt in den Armenvierteln von Johannesburg vor einer Woche sind Tausende Menschen auf der Flucht. Viele Südafrikaner geben den Einwanderern Schuld an der hohen Kriminalitätsrate und der hohen Arbeitslosigkeit in dem Land. Dr. Werner Böhler, Leiter des Auslandsbüros der Konrad-Adenauer-Stiftung in Johannesburg, sieht im Interview mit n-tv.de jedoch vor allem die "stille Diplomatie" der südafrikanischen Regierung gegenüber dem Nachbarland Simbabwe als gescheitert an.
n-tv.de: Was sind die Ursachen für diesen Gewaltausbruch?
Werner Böhler: Nun es ist sicher ein Ursachenmix. Es ist keineswegs reine Ausländerfeindlichkeit, es ist ein Mischung aus einer Kultur der Kriminalität, die über viele Jahre zu lange toleriert wurde und die ein Klima geschaffen hat, bei dem nur ein Funke fehlt, damit Gewalt ausbricht. Die zweite Ursache ist eine enorme soziale Problematik in den Townships, in denen die Gewalt jetzt ausgebrochen ist. Die Menschen dort fühlen sich von der Regierungspartei, dem mit 70 Prozent-Mehrheit regierenden ANC, im Vergleich zu jenen benachteiligt, die sich über Förderprogramme der Regierung zu einem schwarzen Mittelstand heranbilden konnten. Und der dritte Grund ist sicher der ganz starke Migrationsdruck, der im vergangenen Jahr mit der hohen Zuwanderung aus dem Nachbarland Simbabwe seinen Höhepunkt erreicht hat. Zwar wandern ausländische Bürger seit Jahren nach Südafrika ein und versuchen sich hier eine Existenz aufzubauen, aber das war kontrollierbar und überschaubar. Nun geht man davon aus, dass ca. drei Millionen Simbabwer legal oder illegal vor der katastrophalen Situation unter Mugabe in ihrem Land geflohen sind. Diese Menschen strömen in die sowieso schon armen Townships. Das führt zu einem Druck im Kampf um knappe Arbeitsplätze für wenig oder schlecht Qualifizierte.
Hat Südafrika den Zündstoff, den die Zuwanderung birgt, zu lange ignoriert?
Besonders die nicht kontrollierbare Zuwanderung aus Simbabwe ist das Problem. Man hätte viel früher konsequent auf die simbabwische Situation eingehen und konsequent Stellung dazu nehmen müssen, doch Präsident Thabo Mbeki hat sich für die "stille Diplomatie" entschieden und ist damit wohl gescheitert. Die Simbabwer sind zugeströmt, ohne dass man dazu Stellung genommen hätte oder Aufnahmeprogramme vorbereitet hätte. Doch das Ausmaß der kommenden Probleme war absehbar.
Präsident Mbeki hat sich zu den Vorgängen im Nachbarland Simbabwe kaum geäußert, hätte eine größere Solidarität mit den flüchtenden Simbabwern die Ausschreitungen verhindert?
Vor dem Hintergrund der eigenen jüngeren Geschichte kann Südafrika Menschen in Not aus den Nachbarländern kaum fernhalten, das würde den Einsatz von Grenzkontrollen und Polizeikontrollen notwendig machen. Illegale Einwanderer sind ja zum Teil auch wieder abgeschoben worden, aber wenn man von einem solidarischen Gedanken ausgeht, muss man auch für Infrastrukturmaßnahmen sorgen, damit diese Leute aufgenommen werden können. So sind sie unkontrolliert in die schon benachteiligten Armutsgebiete geflohen und dort ist dann jene explosive Mischung entstanden, die ich bereits beschrieben habe und die sich in den jüngsten Gewaltausbrüchen entladen hat.
Kann Südafrika das bereits leisten, einen größeren Flüchtlingsstrom kontrolliert aufzunehmen?
Das ist für Südafrika natürlich eine enorme Anstrengung, andererseits weist das Land in diesem Jahr einen Haushaltsüberschuss aus. Einige Mittel, wenn auch nicht im Überfluss, wären sicher vorhanden. Andererseits hätte Südafrika dann auch in den internationalen Gremien, wie der Afrikanischen Union, deutlich machen müssen, dass Südafrika diese Anstrengung nicht allein stemmen kann. Über diese Institutionen hätte man auch an die internationale Gemeinschaft appellieren müssen, aber dazu hätte man die Ursache für diesen massiven Flüchtlingsstrom benennen müssen und man hätte Mugabe nicht so lange gewähren lassen dürfen, wie man das getan hat.
Die fremdenfeindlichen Übergriffe breiten sich inzwischen immer weiter aus, droht das Land instabil zu werden?
Die Angriffe auf Ausländer geben sicher Anlass zur Sorge, andererseits ist es nicht so, dass es spürbares Klima der Ausländerfeindlichkeit gibt. Hier ist jetzt das berühmte Fass übergelaufen. Südafrika hat große Armut und ungeheuren Reichtum, und in einer offenen Gesellschaft fragen die Ärmeren eben nach ihrem Anteil am Transformationsprozess.
Präsident Mbeki ist das letzte Jahr im Amt, er hat Programme zur Förderung von Kleinstunternehmen angekündigt und Maßnahmen zum Abbau der Jugendarbeitslosigkeit. Reagiert die Regierung also auf die Probleme?
Beide Programme wären sehr sinnvoll, eine Studie beziffert die Jugendarbeitslosigkeit auf 62 bis 68 Prozent, es ist natürlich eine Notwendigkeit Klein- und Kleinstunternehmen zu fördern, um Arbeitsplätze zu schaffen und Unternehmertum zu fördern, damit Einkommen geschaffen werden. Aber die Kernproblematik ist, dass Mbeki nur noch bis April 2009 im Amt ist und der "Lame-Duck"-Effekt schon jetzt unübersehbar ist. Zudem ist auf dem ANC-Parteitag im Dezember eine komplett neue Führung gewählt worden, das Lager um den neugewählten Parteivorsitzenden Jacob Zuma ist ein ganz anderes als die bisherige Führung um Präsident Mbeki. Diese zwei Machtzentren blockieren sich jetzt gegenseitig, deshalb gibt es die Forderung nach Neuwahlen, um diese Pattsituation aufzulösen. Dabei steht zu befürchten, dass solche sinnvollen Initiativen nicht konsequent verfolgt und auch tatsächlich im Parlament verabschiedet werden.
Wie könnte eine konkrete Lösung zur Beendigung der Gewalt jetzt aussehen?
Glücklicherweise zeigt die Polizei an der Basis sehr starke Präsenz, zum Teil hat die Polizei Ausländer auf Polizeistationen aufgenommen. Ob die Kräfte ausreichen, um die Gewalt vor allem nachts unter Kontrolle zu bringen, muss man sehen. Es gibt Forderungen, das Militär mit einzusetzen, das könnte sicherlich hilfreich sein, wenn die Kompetenzen klar benannt sind. Allerdings ist es auch wichtig, dass die verantwortlichen Politiker deutliche Worte sprechen. Es muss klar sein, dass die Regierung handlungsfähig ist, dass die Sozialproblematik gezielt angegangen wird und dass im Kampf gegen die Kriminalität wirklich etwas unternommen wird.
Mit Werner Böhler sprach Solveig Bach
Quelle: ntv.de